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Eine Heimatexkursion: Im Gespräch mit Schriftsteller Jan Weiler

Jan Weiler kommt aus Düsseldorf, lebt und arbeitet jedoch seit mittlerweile 13 Jahren im Tölzer Land. Dahoam hat ihn zu einer Bergtour auf den Herzogstand eingeladen und mit dem Bestsellerautor über Heimat, seine Liebe zu den Dialekten und das Leben als Schriftsteller gesprochen.

Wie eine Nabelschnur zieht sich die Bundesautobahn A 95 von München aus bis tief in das bayerische Oberland hinein. Die Menschen, die an der südlichen Hälfte dieser Nabelschnur leben, versorgt sie mit dem kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben des nördlichen Endes – diejenigen dagegen, die am nördlichen Ende leben, verbindet sie mit einem der schönsten Flecken Erde in Deutschland: dem Tölzer Land.

Zwei Menschen, ein Ort – zwei Heimatbegriffe

Einer, der diesen Flecken Erde als sein Zuhause ausgewählt hat, ist der Schriftsteller Jan Weiler. Der gebürtige Düsseldorfer begann seine Karriere als Werbetexter, bis er schließlich nach München zog, um für das Süddeutsche Zeitung Magazin zu arbeiten, dessen Chefredakteur er im Jahr 2000 wurde. Seit dem Erfolg seines Debütromans „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ arbeitet Jan Weiler als freier Schriftsteller – mit stetig wachsendem Erfolg: Der Nachfolgeroman „Antonio im Wunderland“ sowie sein Erzählband „In meinem kleinen Land“, der Weilers Erlebnisse auf seinen Lesereisen durch den deutschen Sprachraum beschreibt, wurden ebenfalls Bestseller. Seine Kolumne „Mein Leben als Mensch“ erscheint wöchentlich in der Welt am Sonntag und auf seiner Homepage. Vor fünf Jahren eröffnete der Wahl-Ickinger zudem gemeinsam mit dem Koch Corbinian Kohn und dessen Vater Christian in Münsing die „Vinoteca Marcipane“, benannt nach der Hauptfigur seiner ersten beiden Romane.

Einer, der diesen Flecken Erde vor mehr als zehn Jahren in Richtung des anderen Endes der Nabelschnur verlassen hat, bin ich. Der Drang zurück in das bergige Tölzer Land hat seitdem jedoch eher zu- als abgenommen. Mit jedem Blick auf die Felsmassive der Voralpen, die leuchtend grünen Wiesen und die klaren Seen zwischen Starnberg und der Benediktenwand verspüre ich ein tiefes Kribbeln, das mehr ist als nur das Erlebnis, schöne Landschaft zu erblicken. Ist das das vielbeschworene Heimatgefühl?

Um das herauszufinden, haben sich der Düsseldorfer und der Wolfratshauser gemeinsam auf eine der schönsten Bergtouren des Landkreises gemacht: die Wanderung auf den Herzogstand, mit Blick auf die Gratüberschreitung zum benachbarten Heimgarten.

Heimat von oben

Nirgendwo sieht man ein Land besser als von oben. Was liegt also näher, als einen Düsseldorfer Schriftsteller für ein Gespräch über das Thema „Heimat“ auf einen der Hausberge des Tölzer Lands zu bitten? Wenn es nach Jan Weiler geht, vieles:

Dahoam: Sind Sie häufig in den Bergen?

Jan Weiler: Nein. Also eigentlich nie. Ich hab da auch keine guten Erinnerungen daran: Ich war mit meinen Eltern früher oft beim Wandern, und ich habe heute hauptsächlich noch vor Augen, wie ich beim Runtergehen immer auf den steinigen Weg unter mir gestarrt habe, um nicht auszurutschen.

… und dann scheuchen wir Sie hier in den Bergen umher. Das tut uns leid.

Nein, muss es nicht, überhaupt nicht. Ist ja wunderschön hier. Es ist nur so, dass wir in Icking viel eher an München orientiert sind als an den Bergen. Wenn ich einen Tag frei habe, würde ich wahrscheinlich eher ins Museum Brandhorst gehen als in die Berge. Wenn einer dagegen fünf Tage die Woche in einem klimatisierten Büro sitzt, finde ich es vollkommen verständlich, dass er dann am Wochenende ins Grüne will. Aber das ist bei mir einfach nicht so. Ich bin ja eh viel unterwegs. (Er blickt auf den Grat zwischen Herzogstand und Heimgarten, der gerade aus den Wolken auftaucht:) Aber wenn ich so was sehe, das ist schon sehr aufregend und schön.

Mit der Herzogstandbahn sind wir kurz zuvor auf den Fahrenberg gefahren. Der Fußmarsch, der vor uns liegt, dauert eine knappe Dreiviertelstunde und fordert uns gut 130 Höhenmeter ab. Durchaus zu schaffen – auch für Jan Weiler, der im Jackett und mit eher flachen Wildlederschuhen ohne Profil auf der Sohle unterwegs ist.

Ich bin eher so ein Stadtkind. Ich bin ja auch in einem Vorort von Düsseldorf aufgewachsen. Ich hab mich in Städten auch immer recht wohl gefühlt.

… trotzdem wohnen Sie ja heute nicht in München.

Wir sind nach der Geburt unserer Tochter rausgezogen, weil wir als Familie keine Lust hatten, weiter in der Stadt zu wohnen. Zuerst haben wir acht Jahre in Ambach gewohnt, und vor fünf Jahren sind wir dann nach Icking gezogen. Und dort fühlen wir uns auch sehr wohl.

Fehlt Ihnen die Großstadt manchmal?

Eigentlich nicht. Für mich ist es egal, ob ich in Icking nicht ausgehe oder in München.

Wir biegen um eine Kurve. Links vor uns liegt das – um die frühe Uhrzeit noch geschlossene – Berggasthaus Herzogstand, rechts öffnet sich das Tal hin zum Starnberger See. Das Kribbeln, das ich als Heimatgefühl kenne, wird stärker. Und auch Jan Weilers Gesicht erhellt sich ein Stück beim Blick in das Tal.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat ist für mich dort, wo ich meine Gefühle ausdrücken kann. Das ist nichts Lokalpatriotisches, sondern eher mein Sprachraum. Dadurch, dass ich viel reise, fühle ich mich auch in anderen Gegenden nicht unheimisch, zumindest, wenn es dort auch schön ist. Aber ich muss auch sagen: Wenn ich länger unterwegs war und dann heimkomme, die letzten zwei Stationen mit der S-Bahn – da hab ich schon Heimatgefühle.

In der Fernsehserie „Irgendwie und Sowieso“ sagt der Jungbauer Sir Quickly, gespielt von Ottfried Fischer: „Dahoam is da, wo’s Gfui is“.

Ja, genau das meine ich. Wobei es sicherlich auch Orte gibt, wo sich das Gefühl nach fünf Jahren immer noch nicht eingestellt hat. Aber da war ich noch nicht.

Wenn Sie hier runterblicken auf das Tölzer Land: Empfinden Sie das nicht als Heimat?

Ne, das empfinde ich einfach als unendlich schöne Landschaft. Mit die schönste, die ich kenne. Diese Sache mit der Heimat … ich habe vielmehr eine große Affinität zu meinem Zuhause: zu meinem Haus, meiner Familie, meinen Freunden, die ich hier habe, zu meiner Sprache.

Empfinden Sie trotzdem manchmal so was wie Heimweh?

Ja, sehr – aber eben nicht nach meiner Heimat, sondern nach meinem Daheim. Nach meiner Familie, meinem Bett und so. Theoretisch kann ich in meinem Job ja überall leben, wo ich will. Ich habe mir eben einfach diesen schönen Ort ausgesucht.

Für ein Foto setzen wir uns auf die noch leeren Bänke des Berggasthofs. Während im Hintergrund der Auslöser der Kamera klickt, zieht Jan Weiler aus der Seitentasche seines Jacketts einen kleinen, transparenten Plastiklöffel heraus. Meinen leicht irritierten Blick kontert er bierernst, ohne den Blick von der Kamera zu nehmen:

Das ist ein Eislöffel. Aus unserem Restaurant in Münsing. Den habe ich immer dabei. Wenn mir irgendetwas passiert, ist der zur Stelle. Als Schraubenzieher zum Beispiel. Oder wenn ich gefesselt bin, dann kann ich mir die Stricke durchschneiden damit. Wie Winnetou.

Arbeiten Sie eigentlich auch in Ihrem Restaurant? Der Schriftsteller als Kellner und Koch?

(lacht) Nein, bloß nicht. Kochen ist eine schwierige Sache. Bedienen ist eine schwierige Sache. Und Weine verkaufen ist eine schwierige Sache. Das kann ich alles nicht. Ich bin da eher konzeptionell beschäftigt.

Sie leben seit fast 20 Jahren in Bayern. Kommen Sie denn mit dem Bayerischen an sich zurecht?

Ich verstehe das Bayerische ziemlich gut, würde es aber nicht sprechen. Das wäre ja auch affig, ich lebe zwar in Bayern, aber mein Ursprung ist nicht hier. Obwohl ich seit 20 Jahren hier wohne, besitze ich auch noch immer keine Lederhose. Das würde einfach nicht passen. Dabei finde ich Dialekte wirklich schön. Nicht nur das Bayerische, auch die anderen. Wenn Sie beispielsweise eine wirklich schöne Dresdnerin vor sich haben, die so richtig vor sich hin sächselt – das kann wirklich sexy sein. Die einzige Ausnahme ist für mich das Schwäbische: Schwäbisch ist nie sexy.

Sind Ihre Kinder denn Bayern?

Und wie. Unsere Tochter ist in der Frauenklinik in der Maistraße geboren, mitten in München – und unser Sohn ist eine Hausgeburt, in Ambach geboren. Bayerischer geht’s nicht. Aber die Sprache haben sie von mir mitbekommen – ein klares Hochdeutsch.

Wir gehen weiter. Vor uns liegt der serpentinenartige Anstieg zum Herzogstand. Trotz seines reibungsarmen Schuhwerks klettert Jan Weiler mir scheinbar mühelos voraus. Jegliche Divenhaftigkeit scheint ihm fremd.

Sind Sie jemand, der Stille braucht?

Ja. Total. Immer mehr sogar.

Und wie sorgen Sie dafür?

Die mach ich mir. Zum einen daheim, da bin ich eh bis nachmittags allein. Und wenn ich dann noch mehr Ruhe brauche, fahre ich hin und wieder in das Badehaus von einem Freund, direkt am Starnberger See. Da gibt es kein Telefon, kein Internet und niemanden, der mich bittet, schnell mal einen Topf von ganz oben aus dem Schrank runterzuholen. Ich höre auch immer weniger Musik. Beim Arbeiten sowieso schon lange nicht mehr, aber mittlerweile bleibt bei mir sogar beim Autofahren die Musik aus.

Sie haben eine Kommunikationsagentur gegründet, eine Redaktion geleitet, vertreiben Ihre Kolumnen selbst, betreiben eine Weinhandlung mit Restaurant in Münsing – man könnte fast meinen, dass Sie mehr Unternehmer als Autor sind.

(lacht:) Das täuscht. Ich bin kein guter Kaufmann. Die Dinge fallen mir immer wieder eher so zu. Bei der Weinhandlung haben mich die beiden, die das operativ betreiben, Corbinian Kohn und sein Vater Christian, einfach gefragt, ob ich da mitmachen will. Und ich hatte Lust. Und die Sache mit den Kolumnen, das ist eher Notwehr: Der Stern wollte sie ja nicht mehr. Da blieb mir wenig anderes übrig, als sie selbst zu vertreiben.

Sie sind ein sehr erfolgreicher Schriftsteller und Autor. Plagen Sie dennoch manchmal Existenzängste?

(lacht noch mehr:) Ständig eigentlich. Jedes Mal aufs Neue: „Hoffentlich will das noch jemand lesen, hoffentlich kauft jemand ein Ticket, hoffentlich kauft jemand eine CD – und was passiert, wenn nicht?“ Das ist aber ganz normal, glaube ich …

… und wird durch den gesellschaftlichen Leistungsdruck ja auch noch gefördert.

Nun gut, der Druck, den ich habe, den mache ich mir schon auch selbst. Aber der ist auch wirklich nicht gering. Ich habe schon einen ziemlich hohen Anspruch an das, was ich tue.

Fällt Ihnen das Schreiben leicht?

Ja. Auf jeden Fall. Glücklicherweise. Ich hatte schon in der Schulzeit keine Probleme, mich schriftlich auszudrücken. Ich habe eher Probleme, mich im Gespräch gegen so Alpha-Tiere durchzusetzen. Wenn ich das alles schreiben könnte, wäre das alles kein Problem. Und wenn der Kopf voll ist mit Inspiration, kann ich unheimlich viel schreiben. Auch schon mal 20, 25 oder 30 Seiten. Es gibt aber auch Tage, an denen ich das nicht muss oder auch nicht will. Dann ist es nur eine Seite.

Schriftstellerdasein klingt für viele Menschen gerne wie ein einträgliches Hobby. Haben Sie denn einen klar strukturierten Alltag?

Natürlich, das muss ich ja. Es fällt vielen Leuten schwer, das zu verstehen, aber das ist ja eben kein Hobby, was ich da mache. Das ist mein Job. Und dazu gehört auch eine gewisse Arbeitsdisziplin, ohne die geht es einfach nicht. Ich lese bis zehn Uhr die Zeitung, um Punkt zehn gehe ich in mein Büro, und um 18.00 Uhr ist mein Arbeitstag vorbei.

Wir sind auf dem Gipfel. Die Aussicht ist wie erwartet atemberaubend. Für einen kurzen Moment schweigt Jan Weiler andächtig und blickt hinunter in das Tal.

Wenn Sie jetzt so nach unten auf „Ihre“ Gegend blicken – können Sie sich vorstellen, hier Ihr Leben zu verbringen?

Ja, schon. Meine Frau und ich haben gerade ein uraltes Haus in Umbrien gekauft, das wir jetzt renovieren. Unser Plan ist es, später die eine Hälfte des Jahres in Italien zu verbringen und die andere Hälfte hier. Wenn die Kinder groß sind, werden wir vielleicht nach München ziehen, mal sehen. Das wird sich alles zeigen. Genauso gut möglich, dass wir nach Oldenburg oder so ziehen.

Oldenburg?

Ja, meine Frau war jetzt dort beim Reiten, und ihr hat es sehr gefallen. Und arbeiten kann ich auch in Oldenburg. Das ist ja das Schöne.

Klingt ja für einen Schriftsteller auch nie schlecht: „Lebt und arbeitet in Oldenburg und in Umbrien/Italien“.

(lacht:) Stimmt. Wobei, wenn ich das so höre, finde ich, klingt „Lebt und arbeitet in Icking und Umbrien“ doch um einiges besser.

Über den Autor

Sebastian Klug

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