Kunst & Handwerk

Leidenschaft am Faden: Ein Werkstattbesuch bei Marionettenbauerin Maxi Kiermeier

Auf einem ehemaligen Bauernhof bei Dietramszell fertigt Maximiliane Kiermeier mit viel Liebe und Fantasie Marionetten der besonderen Art: Ihre schelmischen Gesichter wirken unheimlich lebendig. Fantastische Figuren, die ihre Liebhaber auf der ganzen Welt finden …

Betritt man das Haus von Maxi Kiermeier, fühlt man sich irgendwie beobachtet. Überall starre Augenpaare, die einen neugierig fixieren: hier ein Marionettenkopf, der zum Trocknen aufgestellt ist, da ein bizarres Gesicht, das aus einem Wandbild ragt, dort ein „schräger Vogel“, der an Fäden von der Decke hängt. „Hölzerne“ Persönlichkeiten, die so echt wirken, dass einem fast mulmig zumute wird. Trolle, Hexen, Zauberer, Waldfeen und Kobolde haben hier ihr Reich. Mittendrin – die Schöpferin der fabelhaften Figuren. Seit fast 25 Jahren begleiten die Fantasiewesen das Leben der Marionettenbauerin.

Alleskönnerin aus Leidenschaft

Zirka 40 Puppen beherbergt Maxi derzeit unter ihrem Dach. Jedoch nur vorübergehend. Es ist ein Kommen und Gehen – das ganze Jahr. Mit dem Zählen hat die Künstlerin längst aufgehört. Viel wichtiger für sie ist, dass keine Marionette der anderen gleicht. Ihre Kreationen müssen einen persönlichen Ausdruck haben. Rund 25 Stunden Arbeit stecken mindestens in jeder. Doch es vergehen Wochen von der Idee bis zur fertigen Figur. Die entsteht erst Mal in Maxis Fantasie, dann geht es ans Modellieren – Maxis größte Leidenschaft. Köpfe, Hände und Gesichter, jedes kleinste Detail formt die Künstlerin frei Hand aus Keramikmasse. Ihr Werkzeug sind ihre Finger und ihre Fingernägel, ein Zahnstocher und ein Plastikspatel. Viel mehr braucht Maxi nicht, um ihren Charakteren Leben einzuhauchen. Jede Feinheit ist wichtig, jedes Fältchen, jeder Wimpernschlag. Wesenszüge, die ihre Puppen lebendig machen. Ist ein Kopf fertig, muss er vor dem Bemalen erst zwei Wochen trocknen. Der eigentliche Charakter entsteht jedoch schon beim Modellierprozess.

Auch das Ankleiden ihrer Figuren übernimmt die gelernte Modezeichnerin. Noch liegt das Holzskelett auf dem Tisch der gemütlichen Werkstatt und wartet darauf, mit Körper und Kostüm zur kompletten Puppe vollendet zu werden. Ein Haarschopf aus grünem Hanf wird angeklebt, die Figur der Marionette festgelegt. Der lustige Troll soll einen dicken Bauch aus Schaumstoff bekommen. Drüber tragen Maxis Marionetten nur feinste Stoffe und ausgefallene Accessoires, schnittgenau auf den jeweiligen Charakter abgestimmt – wie in der Maßschneiderei. Maxi färbt sich jeden Farbton, wie sie ihn für die Gesamtkomposition braucht, stickt winzige Perlen oder filigrane Federn auf. Als Letztes werden alle Einzelteile zusammengesetzt. Den hölzernen Geschöpfen ein Gesicht zu geben, bereitet der Marionettenbauerin jedoch am meisten Freude. Hier kann sie sich künstlerisch ausleben.

Gestalterisch zu arbeiten und vor allem selbst etwas zu schaffen, war schon immer Maxis Traum. Alles begann mit einem Studium an der Münchner Meisterschule für Mode. Danach arbeitete Maximiliane einige Jahre als Stylistin. Für die Künstlerin damals viel zu unkreativ. Auf die Marionette ist die gebürtige Dachauerin dann durch Zufall gekommen. Sie wollte ihrem Mann Wolfgang zum Geburtstag etwas ganz Besonderes schenken. Weil der ein gebürtiger Tölzer ist und dazu noch neben dem Marionettentheater aufgewachsen, lag nichts näher, als ihm eine Marionette zu basteln. Die spielerische Idee wurde zur großen Passion. Ihr Mann witterte schnell ein Geschäft und ergänzte das Werk seiner Frau um die perfekte Technik: das hölzerne Innenleben – eine sogenannte Ringschraubenmarionette –, anatomisch richtig und voll spielbar. Seither gibt es kein Halten mehr.

Tausend einmalige Gesichter

An die 1.200 verschiedene Charaktere hat Maxi bisher geschaffen. Jede Figur hat ein anderes Gesicht, eine eigene Persönlichkeit. Nur eines haben alle Puppen gemeinsam: ein sympathisches Lächeln. Es ist eine humorvolle Welt, die Maxi erschaffen will, finster blickende Figuren wie grimmige Räuber oder gallige Zwerge mag die Künstlerin aus Dietramszell nicht. Und sie wollen ihr auch absolut nicht gelingen. Fragt man sie nach dem Grund warum, zuckt Maxi nur mit den Schultern. Ihr Mann Wolfgang Kiermeier erinnert sich an den einen oder anderen misslungenen Versuch. Damals ging es um einen richtig großen Auftrag: einen griesgrämigen Medizinmann für eine bekannte Arzneimittelfirma. Maxi modellierte Entwurf um Entwurf. Doch trotz all ihrer Bemühungen hatte der zornige Schamane bei jedem Anlauf ein Lachen im Gesicht. Die Mundwinkel wollten einfach nicht runter. Also ließ es Maxi sein. Ernst liegt ihr einfach nicht. Sie mag Figuren schaffen, die den Menschen Freude bereiten.

Neben ihren eigenen Projekten baut Maximiliane Kiermeier auch Portraitfiguren anhand von Fotos. Derzeit modelliert sie an einer ganzen Auftragsserie – ihr wohl anspruchsvollster Auftrag in den letzten zehn Jahren. Ein absoluter Beatles-Fan hat ein lebensechtes Abbild der Band in Form von Marionetten bestellt: John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr, samt Yoko Ono. Und das in drei verschiedenen Altersstufen. Nur die Yoko Ono, die soll Maxi nur einmal machen. Portraits von männlichen Zeitgenossen sind ihr eh die lieberen, da Frauen hinsichtlich ihrer eigenen Schönheit schlichtweg kritischer sind.

40 bis 60 Zentimeter groß sind die kleinen Berühmtheiten von Maxi Kiermeier – von den Füßen bis zu dem Punkt, an dem man sie aufhängt, 120 Zentimeter. Am Ende der Fäden sitzt ein hölzernes Spielkreuz. Mit etwas Talent kann man es in 15 Minuten bedienen. Doch eigentlich sind Maxis Figuren nicht für die Bühne bestimmt. Dafür sind die Meisterstücke mit gut einem Kilogramm Gewicht einfach zu schwer. Für Liebhaber auf der ganzen Welt spielen sie dennoch die Hauptrolle. Kunstwerke, für die Sammler bis zu 700 Euro bezahlen. Sie kommen aus ganz Europa, aber auch aus den USA, aus China oder Australien. Die Hauptkundschaft sitzt jedoch in Oberbayern, rund um München.

Dass ihre fröhlichen Botschafter Menschen auf der ganzen Welt verzaubern, ist für Maxi Kiermeier zwar schmeichelhaft, jedoch eher Nebensache. Für sie steht die Kunst vor Ruhm und Ehre. Etwas Schönes entstehen zu lassen und davon noch gut leben zu können, ist für Maxi das größere Glück. Und das hält hoffentlich noch lange an.

Über den Autor

Simone Rosner

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