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„Eines darf man nie sein, zufrieden!“ Interview Christian Stückl

Er ist ein Stück bayerische Urgewalt, von einer unbändigen Neugier und Begeisterungsfähigkeit. Seit Jahrzehnten pendelt er zwischen Heimatdorf und Landeshauptstadt, gilt in der Theaterwelt als „Fachmann für das Katholische“. Die Passionsspiele in Oberammergau hat Christian Stückl schon dreimal inszeniert. Dahoam-Autorin Simone Rosner hat den Entstehungsprozess 2010 für die ZDF-Dokumentation „Die Passion der Holzschnitzer“ über ein Jahr lang begleitet. Jetzt traf sie Christian Stückl zum Interview im Münchner Volkstheater, dessen Intendant er ist. Ein Gespräch über Heimat, Passion, Tradition und ein Leben ohne Theater …

Dahoam: Du bist ja gebürtiger Oberammergauer. Was bedeutet Heimat für Dich?

Christian Stückl: Für mich hat Heimat etwas mit dem Umfeld, wo man aufgewachsen ist, mit den Leuten, die einen umgeben, zu tun. Da, wo ich mich aufgehoben, da, wo ich mich angenommen fühle. Ich bin in einem Wirtshaus aufgewachsen, habe in Oberammergau einen unheimlich großen Freundeskreis. Ich fahre seit 20 Jahren jedes Jahr nach Indien und habe mich in dieses Land total verliebt. Wenn ich heute dorthin fahre und meine Freunde besuche, dann fühle ich mich dort auch fast wie daheim. Für mich sind es ganz stark die Menschen, die einen Ort bevölkern und besonders machen.

Du bist ja schon mit 19 bei Deinen Eltern ausgezogen und hast Dir den „Traum“ vom eigenen Zuhause erfüllt. In Oberammergau, versteht sich …

Bei uns schräg gegenüber gab´s so einen uralten Bauernhof von 1740 oder so was, da hab ich als kleiner Bub schon gesagt, das Haus, das gefällt mir total, das will ich einmal haben. Und als ich vom Zivildienst zurückgekommen bin, hat es der Zufall so ergeben, dass ich tatsächlich dort drüben einziehen konnte, und da leb ich bis heute. Das ist mein Domizil.

Dennoch bist Du viel unterwegs, pendelst zwischen Oberammergau und München. Wäre es Dir auf Dauer nur auf dem Land zu „ruhig“?

Ich hab ja mal Bildhauerei gelernt und hab dann aber gleich gemerkt, die Einsamkeit im Atelier als Bildhauer, da fällt mir die Decke auf den Kopf, ich will ans Theater. Und wenn ich meinem Berufswunsch nachgehen will, muss ich auch raus. Nach der Bildhauer-Ausbildung habe ich dann Regieassistenz gemacht an den Kammerspielen in München, und da war es eigentlich schon klar: Die Zukunft wird so sein, dass ich in Oberammergau lebe, aber auch zwischendurch in München oder irgendwo anders. Ich glaube schon, wenn es nur Oberammergau wäre, das wäre mir zu eng. Das ist ein wunderbarer Ort, aber ich muss auch raus.

Weshalb die Lehre als Holzbildhauer, verlangte das die Tradition?

Alle meine Vorgänger im Spielleiter-Amt waren Holzbildhauer. Und bei meinem unmittelbaren Vorgänger, das war ein Nachbar von uns, war ich als Bub schon immer mit in der Werkstatt. Der hat auch selbst an seinem Bühnenbild gebaut. Das hat mich natürlich fasziniert.

Also war Dein frühester Berufswunsch bereits Passionsspielleiter …

Also bei uns daheim, da war das ja so, dass man viel Theater gespielt hat. Der Opa, der Papa, die haben alle Theater gespielt, und ich hab mir immer gedacht, nein, mich interessiert mehr, im Zuschauerraum zu stehen und sagen, wo es hingeht. Und von daher war der Berufswunsch schon ganz früh da. Ich weiß noch, mit 12 oder 13 hab ich mich einfach vor einen Plattenspieler gesetzt und hab den ganzen „Räuber Hotzenplotz“ abgeschrieben, weil ich nicht gewusst habe, wo kriegt man eigentlich Theatertexte her. Und dann war 1977 bei uns so ein Regisseur, der hat versucht, ein neues Passionsspiel zu machen, und das hat mich letztendlich total elektrisiert. Da war ich dann ununterbrochen im Theater draußen und hab dem ununterbrochen auf die Finger geschaut.

Was ist Deine Passion an der Passion?

Man wächst ja mit etwas auf, und ich bin genau in so eine Zeit hineingewachsen, wo man gemerkt hat, man muss dieses Passionsspiel auch in die neue Zeit hineintransportieren. Und das ist schon eine Leidenschaft bis heute, dass man da auch immer wieder neu anfangen kann, wenn man das alle zehn Jahre wieder macht. Eigentlich ist so ein Spiel und das Theater etwas, was immer im Fluss ist, und natürlich gibt es da immer welche, die sagen: Aber das war doch gut beim letzten Mal. „Never Change a Winning Team!“ Aber nur dadurch, dass man dem Spiel immer wieder neue Impulse gibt, bleibt es auch lebendig.

Seit einiger Zeit wird in Oberammergau auch zwischen den nur alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspielen großes Theater aufgeführt …

Das hat ja kein anderes Dorf, ein Theater, ein Riesen-Bau, wo von der Zuschauer-Kapazität eigentlich das ganze Dorf reinpasst, also mit fast 5.000 Sitzplätzen, und das nutzt man dann nur alle zehn Jahre. Jetzt haben wir in diesem Jahr ein tolles Stück über Moses, und da sind wir gerade voll in den Proben und machen mit 400 Leuten Theater! Das macht mir manchmal fast mehr Spaß als die „Passion“.

Du führst als Leiter der Oberammergauer Passionsspiele eine jahrhundertealte Tradition fort und bist gleichzeitig als Intendant des Münchner Volkstheaters für junges und provokant auftretendes Theater bekannt. Wie passt das zusammen?

Man muss ja jede Tradition auch irgendwohin transportieren. Und nur, wenn sie an die nächste Generation weitertransportiert wird, wird sie halten. Da sind schon Tausende Traditionen kaputtgegangen, weil man vielleicht zu stur an ihnen festgehalten und keine Veränderungen zugelassen hat. Ich bin ja bei drei Mal „Passion“ immer wieder mit dem Gemeinderat und den Leuten draußen angeeckt und habe Dinge gemacht, die vielleicht nicht jedem gefallen haben. Aber für mich ist das eine wie das andere. Ich gehe auf die Bühne, erzähle Geschichten, hier im Volkstheater vielleicht ein bissel anders als draußen in Oberammergau. Hier geht man vielleicht in manchen Dingen weiter, aber eigentlich ist beides für mich Theater machen.

Was bedeutet für Dich Volkstheater?

Ich weiß bis heute keine Definition dafür. Für mich ist jede Art von Theater, egal ob am Residenztheater oder bei den Kammerspielen, etwas, das wir für das Volk machen. 94 % haben bei einer Umfrage der LMU auf die Frage, was versteht man unter Volkstheater, „Mundarttheater“ geantwortet. Und ich hab darauf nur gesagt, nein, der Shakespeare hat auch in irgendeiner Art Volkstheater gemacht.

Wie schafft man es als Regisseur, dass krachlederne Bauernstücke wie der „Brandner Kaspar“ oder die „Geierwally“ nicht verstaubt rüberkommen.

Du kannst eigentlich nur so inszenieren, wie Du selber bist. Wenn Du ein Regisseur bist, der beim Vorgänger schaut, wie hat der das gemacht, dann kommt sowieso nix dabei raus. Man muss mit den Dingen umgehen, und entweder mögen die Leute es so, wie Du Geschichten erzählst, oder sie mögen es nicht. Und davon hängt Dein Erfolg auch ab. Ich denke da nicht, wie mach ich das jetzt, damit das bei der heutigen Generation ankommt, sondern ich lebe ja jetzt selber im Jetzt und Hier, und ich versuche eben, in meiner Art Geschichten zu erzählen.

Zu Deinem aktuellen Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Horváth: Wieso hast Du bisher einen so großen Bogen um diesen Autor gemacht?

Am Anfang haben alle gesagt, am Volkstheater muss man Horváth machen, da lag immer so ein Stempel drauf. Und ich hab mich immer gewehrt dagegen, weil ich mich nicht so festlegen lassen wollte. Und irgendwann habe ich die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gelesen und hab mir gedacht, so altbacken kommt der gar nicht rüber, ist doch ein gutes Stück. Man muss sich nicht wehren dagegen.

Was hat bei der Arbeit an diesem Stück am meisten Spaß gemacht?

Schon der Titel, „Geschichten aus dem Wiener Wald“, das hört sich so an, als wenn es so nette, romantische Geschichten sind, aber eigentlich hat der Horváth extrem gut menschliche Abgründe beschrieben. Der hat in Murnau und auch woanders Bauerntheater gesehen und hat gesagt, auch die Volkstheater sind nicht die heile Welt. Und die Welt ist eben nicht so nett und nicht so heil, und deswegen hat er in seinen Stücken auch die Leute wahnsinnig gut getroffen. Und die Figuren haben auch bis heute eine Gültigkeit.

Als Du vor zwölf Jahren das Volkstheater übernommen hast, wolltest du vor allem das junge Publikum ansprechen …

Wir haben am Anfang mit unserem öffentlichen Auftritt, aber auch mit der Auswahl der Stücke und vor allem bei den Darstellern und Regisseuren auf junge Leute gesetzt. Und die ziehen dann auch automatisch jüngeres Publikum an. Die Jungen wollen, dass auch jemand Junges auf der Bühne steht, der eigentlich vermeintlich auch ihre Geschichten erzählt. Wir sind heute in München sicherlich das Theater, das das jüngste Publikum hat.

Kannst Du Dir in Deinem Leben eigentlich noch etwas anderes vorstellen, als Theater zu machen?

Ich habe, glaube ich, schon meinen absoluten Traumberuf gefunden. Gegen was soll ich denn tauschen? Aber zufrieden darf man auch nie sein. So ist es nach zwölf Jahren Volkstheater natürlich auch mal so, dass man sich denkt, ich hab Angst vor Wiederholungen, ich hab Angst, dass es nimmer weitergeht. Ich glaube, das ist auch so eine Triebfeder, wenn man inszenieren, wenn man Geschichten machen will. Das ist ja auch das wahnsinnig Spannende an unserem Beruf. Wir können eigentlich nach jedem Stück – auch wenn es mal in die Hose gegangen ist, wir schlechte Kritiken bekommen haben – wieder neu anfangen.

 … und was machst Du, wenn Du nichts machst?

Ich kann extrem faul sein. Da leide ich manchmal selber drunter, dass ich denk: „Also jetzt krieg ich mich gar nicht auf die Reihe.“ Ich liebe auch manchmal die Kanapee-Nordwand und kann dann vor dem Fernseher hocken und das blödeste Zeug anschauen.

Und wenn Du nicht zu Hause oder im Theater bist? Hast Du einen Lieblingsplatz in Oberammergau? 

Ich hock wahnsinnig gern in Cafés, wenn Leute außen rum sind, da ist es fast Wurst, wo das ist. Egal, ob in Oberammergau, München oder Indien. Also so, wie man es sich erwartet, dass ich mich in die Berge, in die Wiese setze: „Des mach I ned!“

Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Autor

Simone Rosner

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