Die Werdenfelser Alphornbläserinnen treten bei Veranstaltungen, Festen und im Fernsehen auf. Ihre Leiterin, Elisabeth Heilmann-Reimche, bildet alle ihre Musikantinnen selbst aus. Sie unterrichtet auch Anfänger in Wochenendseminaren, wie man dem langen Holzrohr passable Töne entlockt
Die Ruine Werdenfels ist ein beliebter Ausflugsort zwischen Garmisch und Farchant. Achtzig Meter über dem Loisachtal ragen die verbliebenen Kalksteinmauern der einst stolzen Burg in den Himmel. Dahinter eine Postkarten-Fernsicht. Doch alle Ausflügler wenden sich vom Alpenpanorama und dem historischen Monument ab, als Elisabeth Heilmann-Reimche mit sechs ihrer Spielerinnen auftaucht. Die fast vier Meter langen Alphörner geschultert, sind die Damen ein nicht alltäglicher Hingucker. In bunter Tracht gekleidet und mit wippenden weißen Federn auf dem Hut, machen sie dem Wettersteingebirge Konkurrenz. Etliche Fotohandys richten sich augenblicklich auf die Musikerinnen. Vor der Ruine tritt die Frauencombo anlässlich eines Geburtstags auf. Das Ständchen ist kilometerweit zu hören. So freuen sich nicht nur die Wanderer vor Ort über ein Gratis-Konzert, auch unzählige Ausflügler im Tal erleben die Alphörner in ihrem natürlichen Habitat. Denn Alphörner dienten ursprünglich Hirten auf abgelegenen Weiden „als Arbeitsgerät“, wie Spezialist Franz Schüssele, Autor eines Fachbuchs über Alphörner, betont. Die Schweiz gelte als Ursprungsland des Alphorns. Doch das sei keineswegs erwiesen. Die Geschichte des Alphorns geht bis in die Steinzeit zurück, in der hohle Knochen als Blasinstrumente dienten. Überall, wo es Hirten und Berge gab, gab es auch die archaischen Hörner. Früher dienten sie der Kommunikation, ähnlich wie das Jodeln. Über Berggipfel und Täler hinweg waren sie quasi das Handy der Hirten. Heute ist das Alphorn selbst im Flachland weit verbreitet und hat Liebhaber auf der ganzen Welt.
Zwölf Kilometer weit ist der Klang zu hören
Auch die Gäste, die Elisabeth Heilmann-Reimche nach dem Ende des Geburtstagskonzerts in ihrem Haus in Partenkirchen empfängt, sind verrückt nach dem klingenden Rohr. Es sind fünf Hobbyjäger aus Trier, die ein Wochenendseminar gebucht haben und sich auf ihre erste Lektion freuen. Als Elisabeth Heilmann-Reimche in das Horn stößt, klingt es nach Alpenglühen, Bergsehnsucht und Gipfelkreuz. Als sie dem Trierer Quintett jedoch beschreibt, wie sich diese majestätischen Töne erzeugen lassen, hört es sich wenig erhaben an: „Ned spucken, Hirn ausschalten und sanft mit den Lippen pupsen.“ Grinsen sollen sie auch, wenn sie ins Horn stoßen, die Mundwinkel anspannen, die Lippen jedoch locker lassen. Die ersten Versuche hören sich nach röchelnden Elefantenbabys an. Doch die Lehrerin weiß ihre Adepten verbal zu motivieren. Für hohe Töne müsse man die Bauchmuskeln so anspannen, als würde man sich übergeben. Wieder hört es sich nach einer wackeligen Herde Rüsseltiere an. Die Lehrerin stellt sich breitbeinig auf und kontrahiert ihren Rumpf: „Übergeben, sag ich, und nicht drücken wie beim Stuhlgang!“ Dank dieser einleuchtenden Beschreibung kommen allmählich nicht nur Töne aufs Geratewohl aus dem Horn. Die tiefen und hohen Töne lassen sich nun immer besser kontrollieren. Elisabeth Heilmann-Reimche hat mit ihrer jahrelangen Unterrichtserfahrung sofort den begabtesten Zögling ausgemacht. Er soll die erste Stimme lernen, damit die Runde daheim in Trier auch ohne sie weiterüben kann.
Die ersten Erfolge
Sogar drei Tonlagen beherrscht der Musterschüler bereits. Wieder benutzt die Lehrerin anschauliche Worte, um auch seine Kameraden zu ähnlichen tonalen Höhenflügen anzustacheln, damit sie die zweite und die dritte Stimme als Begleitung lernen. Diesmal kommen ihre Vergleiche aus dem Insektenreich: wie die Hummel (für die tiefen Töne), wie die Biene (etwas höhere Tonlage) und wie eine Mücke (für die hohen Töne). Und siehe da: Die Erfolgserlebnisse stellen sich ein, und die Lehrerin nickt zufrieden. Aufgewachsen ist Elisabeth Heilmann-Reimche in Garmisch-Partenkirchen in einer hochmusikalischen Familie. Ihr Vater war Musikdirektor und leitete zwei Orchester. Sie selbst studierte wie ihr Bruder Trompete an der Musikhochschule in München. Anschließend bekam sie in Konstanz eine Stelle als zweite Trompeterin in der Philharmonie. Nach einem Jahr heiratete sie und verließ das Orchester, um ihre Kinder großzuziehen.
Vertonte Heimatliebe
Die Trompete hat sie inzwischen längst gegen das Hirteninstrument eingetauscht. Sie brachte sich das Spielen selbst bei. Weil schon bei den ersten Auftritten immer Neugierige aus dem Publikum in das imposante Horn hineinblasen wollten, fing sie mit dem Unterrichten an. Vor knapp 20 Jahren gründete sie dann die „Werdenfelser Alphornbläserinnen“. Ihre ersten Mitstreiterinnen waren Töchter von Freundinnen. Auch heute lehrt sie fast täglich junge Mädchen aus Garmisch-Partenkirchen und hofft, sie langfristig für das Spielen vor Publikum zu begeistern. Die jungen Mädchen sollen jeden Tag eine Viertelstunde zum Üben kommen. Der Unterricht ist kostenlos, auch das Alphorn wird gestellt, und sogar die fesche Tracht für die Auftritte spendiert Elisabeth Heilmann-Reimche. Es ist ihr Bestreben, dieses wundervolle Instrument und seinen Klang in die Welt auch jenseits der Berge zu tragen. Elisabeth Heilmann-Reimche ist die unangefochtene Grande Dame des Alphorns, nicht nur im Oberland. Sie selbst streicht über eins ihrer zehn Alphörner und seufzt glücklich: „Das Alphorn ist mein Leben!“