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Happy Welcome: Ein Gespräch über Heimat

Walter Steffen aus Seeshaupt und Mohammed Kellieh aus Syrien sprechen darüber, was für sie „Heimat“ bedeutet

mei Dahoam: Herr Steffen und Herr Kellieh, was bedeutet Heimat für Sie?

Walter Steffen: Heimat bedeutet für mich tiefe Verbundenheit – mit Menschen, mit der Natur, mit der Kultur und der Geschichte. In der Summe ergibt sich daraus ein Gefühl von Geborgenheit und von Sicherheit. Heimat ist für mich nicht unbedingt der Ort, in den ein Mensch hineingeboren wird. Heimat ist frei wählbar.

Mohammed Kellieh: Ich komme aus Latakia an der syrischen Mittelmeerküste. Am Morgen zuerst die salzige Luft zu riechen, das ist Heimat. Aber auch die Gerüche der vielen Gewürze auf dem Markt, der Duft von gefüllten Auberginen und Zucchini, von meiner Großmutter zubereitet, ist Heimat für mich. Und natürlich ganz besonders meine Familie.

mei Dahoam: Herr Kellieh, Sie sind vor einem Jahr nach monatelanger Flucht in Deutschland angekommen. Ihre Heimat werden Sie so schnell nicht wiedersehen. Was macht das mit Ihnen?

Mohammed Kellieh: Ich bin sehr traurig, dass ich Syrien verlassen musste. Ich liebe dieses schöne Land, das jetzt im tiefen Chaos steckt. Ich glaube, dass kein Mensch seine Heimat gern verlässt. Aber wenn im eigenen Land keine Zukunft mehr existiert, dann bleibt keine andere Wahl.

mei Dahoam: Wie war Ihre Situation dort genau?

Mohammed Kellieh: Da mein Vater einen Rebellen versorgt hatte, der verwundet auf der Straße lag, wollte das al-Assad-Regime ihn ins Gefängnis werfen. Auch meine Brüder und ich kamen auf die rote Liste. Ich studierte damals in Latakia Betriebswirtschaftslehre. Wir mussten untertauchen, mein Studium konnte ich nicht fortsetzen. Hinzu kamen die täglichen Gefahren des Bürgerkriegs. Nach vier Jahren wurde mir klar, dass die Situation sich nicht ändert. Ich musste weg.

mei Dahoam: Was ist dann passiert?

Mohammed Kellieh: Im März 2014 bin ich nach Istanbul gefahren, wo ich nach wenigen Tagen Arbeit fand. Ich bügelte um die 1.000 Hemden pro Tag und bekam dafür gerade mal 230 Euro im Monat. So ging es einige Zeit, dann reichte es mir. Ich beschloss, nach Deutschland zu gehen. Von Izmir fuhr ich mit einem Schlepper-Boot auf die griechische Insel Samos. Dort beantragte ich EU-Asyl und bekam eine Aufenthaltserlaubnis, durfte aber nicht arbeiten. Danach war ich drei Monate in Athen, von dort ging es über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Deutschland. Die Flucht war anstrengend, wirklich schlimm. Insgesamt habe ich 4.000 Euro an Schlepper gezahlt. Ich wurde ins Asylbewerberheim Mühltal bei Starnberg gebracht. Ich hatte nur noch, was ich am Leib trug. In Syrien gehören meiner Familie sechs Eigentumswohnungen.

mei Dahoam: Herr Steffen, in vielen deutschen Familien gibt es Flüchtlingsschicksale. Auch bei Ihnen?

Walter Steffen: Ja, ich bin selbst ein Flüchtlingskind. Meine Mutter kam aus Swinemünde an der Ostsee, mein Vater aus Berlin. Als gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die russische Armee Swinemünde einnahm, flohen meine Eltern übers Meer nach Dänemark, als blinde Passagiere. Nach Kriegsende sind sie zwei Monate lang zu zweit auf einem Fahrrad durch das zerstörte Deutschland gefahren – vom obersten Norden bis nach Oberstdorf, in den äußersten Süden.

mei Dahoam: Hatten Sie in Ihrer Kindheit Schwierigkeiten, weil Sie im Allgäu kein Einheimischer waren?

Walter Steffen: Die einheimischen Kinder haben hinter den Ecken gewartet, um uns Flüchtlingskinder zu verprügeln. Das hat dazu geführt, dass ich mich dort nie zu Hause gefühlt habe. Wir gehörten einfach nicht zur Dorfgemeinschaft. Das kann besonders ein Kind sehr prägen.

mei Dahoam: Herr Kellieh, was hat Ihnen geholfen, sich in Deutschland zu Hause zu fühlen?

Mohammed Kellieh: Ich habe gespürt, dass ich hier willkommen bin. Ich bin dankbar, dass der deutsche Staat mir so viel gegeben hat – ein Dach über dem Kopf, Essen und die Möglichkeit, Deutschkurse zu besuchen. Nach kurzer Zeit lernte ich Einheimische kennen. Jemand vermittelte mir einen Praktikumsplatz beim Roten Kreuz. Jetzt habe ich eine richtige Arbeitsstelle bei einem Verlag am Starnberger See gefunden. Inzwischen beziehe ich kein Geld mehr vom Staat und wohne auch nicht mehr im Asylbewerberheim, sondern bei einer Starnberger Familie in einer Einliegerwohnung. Das ist jetzt mein Zuhause.

mei Dahoam: Herr Steffen, was möchten Sie mit Ihrem neuen Film „Happy Welcome“ erreichen?

Walter Steffen: Ich erhoffe mir von dem Film, dass er möglichst viele Menschen in ihrer Arbeit für die Flüchtlinge bestärkt und andere gewinnt für eine zukünftige Integrationsarbeit, denn die hohe Zahl an Flüchtlingen zu organisieren und zu versorgen ist eine große, ja, historische Herausforderung. Eines der letzten Statements im Film ist, dass wir hier in so einer großen Wohlstandswabe leben wie nur wenige auf der Welt und noch viel mehr teilen könnten. Diesen Gedanken finde ich wichtig, und ich bin mir sicher: Wenn wir teilen, wird uns das bereichern.

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