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Bestes Glück: Ein Interview mit dem Regisseur Marcus H. Rosenmüller

Marcus H. Rosenmüller

Die Freundschaft zweier Mädchen, die 90er Jahre und das Münchner Umland – aus diesen drei Koordinanten strickten die Drehbuchautorin Karin Michalke und der Regisseur Marcus H. Rosenmüller 2007 „Beste Zeit“, dem 2008 der Nachfolger „Beste Gegend“ folgte. Im Vorjahr hatte Rosenmüller mit seinem Überraschungserfolg „Wer früher stirbt, ist länger tot“ die Filmwelt durcheinander gewirbelt und den Heimatfilm neu erfunden. Ging es in seinem Erfolgsfilm jedoch vorrangig um das Jenseits, drehte sich „Beste Zeit“ durchweg um die diesseitigen Probleme von Kati und Jo, zwei pubertierenden Mädchen in dem kleinen Dorf Tandern, unweit von Dachau. Mit „Beste Chance“ (Kinostart: 26. Juni 2014) erzählen Rosenmüller und Michalke die Geschichte der beiden jungen Frauen, zu denen Kati und Jo in den letzten Jahren geworden sind: Die lebensfrohe Jo ist auf Weltreise und derzeit in Indien, die vernunftgetriebene Kati im Klausurenstress beim Studium in München. Eine beunruhigende Nachricht von Jo lässt Kati Hals über Kopf nach Indien aufbrechen – doch statt ihrer Freundin findet sie vor allem eines: Sich selbst. mei Dahoam-Redakteur Sebastian Klug traf Regisseur Marcus H. Rosenmüller kurz vor Filmstart im Bayerischen Hof in München und hat mit ihm über Glück, Hippies, Spießer und die unschuldigen 90er Jahre gesprochen.

mei Dahoam: Herr Rosenmüller, sind Sie ein glücklicher Mensch?

Marcus H. Rosenmüller: Puh. Die großen Fragen… (überlegt) Ja, überwiegend schon, würde ich sagen. Und ich habe auch viel Glück, schon allein, dass ich einen Beruf ausüben darf, der mir so viel Spaß macht, dass ich so viele tolle Leute kennen lernen darf, eine tolle Familie habe. Und dazu habe ich auch ein Gemüt, das all diese Dinge zu schätzen weiß. Ich genieße die Tage. Manchmal wach ich auf und bin gut aufgelegt – und das macht mich schon glücklich.

Wie sind Sie so glücklich geworden?

Ich glaube, da ist viel vererbt worden, eben dieses Gemüt, die Fähigkeit, das Glück zu sehen. Aber genau sagen kann ich es nicht, weil ich auch schon in der Jugend sehr fröhlich war. Dass es dann gehalten hat, hat sicherlich mit den Leuten zu tun gehabt, die ich kennen gelernt hab, mit den Freundschaften, die ich geknüpft habe, das erfüllt mich. Und eben das Glück, beruflich das gefunden zu haben, was mich erfüllt.

In „Beste Chance“ geht es um Menschen, die im Grunde unglücklich mit ihrem derzeitigen Leben sind und durch verschiedene Situationen die Möglichkeit bekommen, Zufriedenheit zu finden – hauptsächlich dadurch, dass sie neue Erkenntnisse über sich gewinnen.

Ja, aber diese Erkenntnisse sind sehr verschieden. Die Kati zum Beispiel weiß ja selbst am Ende des Films nicht genau, was sie will. Aber sie weiß, dass sie sich gewisse Sachen mal anschauen muss. Diese Erkenntnis, dass man aus seinen festgefahrenen Schienen raus kann, sich daneben hinstellen kann und sagen: „Was mach ich da eigentlich?“, die ist schon viel wert. Schule, Abitur, Studium – das ist alles in allem eine sehr schöne Zeit, aber halt auch manchmal ein ziemlich starres Konstrukt, dass Dich glauben lässt, Du wüsstest jetzt schon alles. Du hast einen Rucksack voller Bücher dabei und meinst, da holst Du Deine Weisheit raus – aber eigentlich holst Du die aus dem Erlebten. Das ist auch die große Erkenntnis von der Kati im Film: Zu begreifen, dass das Leben aus Veränderung besteht, dass es im Fluss ist. „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“ hat der Goethe gesagt, und das gilt halt auch für’s Glück. Das bringt einem dann im Endeffekt einen weiseren Blick aufs Leben.

Walter und Hubert werden im Verlauf des Films von sturköpfigen Landeiern zu meditierenden Hippies, während die Generation ihrer Kinder mit Ausbildung, Hausbau, Stoffmusteraussuchen zusehends verspießt – ist Hippietum also vielleicht doch keine jugendliche Spinnerei, sondern eine Form von Altersweisheit?

Es muss eben zammspielen. Für viele ist es die Mischung, und das eine sollte eben das andere nicht ausschließen. Die Väter enden nicht in der Meditation, sondern sie öffnen sich der Meditation. Aber richtig glücklich sind sie ja dann, als sie wieder zurückkommen und von ihren Frauen am Flughafen abgeholt werden. Weil sie ihre Basis einfach auch wieder besser zu schätzen wissen. Und beim Rocky ist es andersrum ähnlich: Der überlegt, ob er nach Indien fahren soll, stellt alles in Frage, den Hausbau, die Ehe – und merkt dann, dass das alles eben genau das ist, was er will. Das ist auch überhaupt nicht spießig in der Situation, sondern es geht für ihn darum, zu begreifen, was er möchte. So ein „normales“ Leben, mit Haus, mit Familie, das ist auch wahnsinnig schwer zu stemmen. Scheinbar normal zu sein ist kein Sonntagsspaziergang, das erfordert viel Energie. Meine Intention ist es nicht, zu sagen „Schmeißt Eure Bücher weg, erlebt was“, sondern eine Mischung aus Gelerntem und Erlebtem hinzubekommen. Und diese Mischung ist eben kein Patentrezept, sondern muss individuell dosiert werden. Nicht jeder muss weg, um seine Heimat zu kapieren, manchen hilft’s super, manche brauchen’s nicht. Da ist jeder anders.

„Beste Chance“ spielt um die Jahrtausendwende, in einer Zeit, in der plötzlich alle Angst vor und um ihre Computer hatten, die D-Mark verschwand, der 11. September unsere vermeintliche Sicherheit als Illusion entlarvt hat. Was ist aus Ihrer Sicht der grundlegende Unterschied zwischen damals und heute – und wann war’s schöner bzw besser?

Für mich ist da eigentlich nur der 11. September relevant. Das hat vieles verändert, zerstört. Der Film spielt daher bewusst in der Zeit davor, hätten wir ihn danach angesiedelt, wäre vieles in der Geschichte anders gewesen. Die Welt, in der wir uns da befinden, ist sehr unschuldig, ein paradiesischer Zustand. Das war sie schon in „Beste Zeit“ und „Beste Gegend“, und das ist sie auch fünf Jahre später, in „Beste Chance“ noch.

München vertrendet immer stärker – jede Woche eröffnet ein neuer Burgerladen, Feste werden immer mehr zu Events und im Sommer trinkt man das, was in Mode ist, statt das zu trinken, auf was man gerade Lust hat. Sie leben mit Ihrer Familie mitten in München – was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Entwicklung?

Das liegt glaube ich daran, dass wir zum marktwirtschaftlichen Funktionieren erzogen werden. Das ist das höchste Gut für uns, dass man etwas verdient, dass man etwas leistet. Aber dabei muss man eben aufpassen, dass die Städte eben dadurch nicht entseelt werden. Ich seh das jetzt nicht ganz so extrem und schwarz, aber die Gentrifizierung hier in München ist schon krass. Klar, im Grunde ist alles im Fluß, wir können auch immer unsere Koffer packen und wieder woanders hinziehen, wenn’s uns zu spießig wird. Aber München muss schon aufpassen, dass es nicht vollkommen entseelt. Im Moment ist sehr wenig Bewegung da, auch weil alles so teuer wird, das können sich ja viele überhaupt nicht mehr leisten, hier zu leben. Das ist schon sehr bedenklich.

…und währenddessen sitzen wir hier im Bayerischen Hof und unterhalten uns.

(lacht) Ja, hier zu übernachten könnten wir uns wahrscheinlich beide nicht leisten. Müssen wir ja aber auch nicht, wir wohnen ja hier.

Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters, bezeichnet Indien gern als seine zweite Heimat. In Irgendwie und Sowieso spielt Indien eine zentrale Rolle, auch wenn Sepp, Effendi und Co es nie erreichen. In „Indien“ von Josef Hader und Alfred Dorfer ist das Land namensgebend. Und jetzt spielt „Beste Chance“ dort. Gibt es eine bestimmte Verbindung zwischen Bayern und Indien?

Es gibt einfach diesen spirituellen Drang in Richtung Indien, diese Sinnsuche. Das hat jetzt wahrscheinlich keinen speziellen Bezug zu Bayern, eher zu unserer Zeit. Dass es dann hier im Film eine Rolle spielt, hat verschiedene Gründe. Einer ist sicherlich, dass uns diese ganzen Filme und Serien sehr geprägt haben, sowohl die Karin als auch mich. Und als es dann darum ging, Indien in „Beste Chance“ einzubauen, haben wir gesagt, wir machen es nicht nur zum Thema, wie sie es eben in „Indien“ oder in „Irgendwie und Sowieso“ gemacht haben, sondern wir fahren hin. Das war das Ziel: Wir erzählen Geschichten über Tandern, tun das aber in Dehli. Das war anstrengend und hat uns viel Kraft und Mühe gekostet, aber deswegen bin ich so stolz, dass wir das gemacht haben. Dazu kommt noch, dass ich vor 14 Jahren meinen Abschlussfilm an der HFF in Indien gedreht habe, in Pune. Für mich, der ich vorher nie viel gereist bin, weil ich immer knapp bei Kasse und ja auch immer zu Hause glücklich war, war das der größtmögliche Kontrast. Ich hatte davor gedacht, das wäre so ein heiliges Land, mit Sanftmut, Meditation – und wurde dann von diesen Eindrücken vollkommen überrannt. Und bei der Karin war’s genauso, die war einmal auf einer Reise in Indien.

Zum Abschluss ein paar kurze Fragen: Stones oder Beatles?

(lacht) Beide!

Samosas oder Weißwürschd?

Beides.

Weit weg oder daheim?

Auch beides.

Land oder Stadt?

Beides.

Laptop oder Lederhosn?

Laptop.

Glaube oder Wissenschaft?

Puh, auch beides.

Berg oder Kino?

Beides, wobei’s vom Wetter abhängt. Wenn Regen, dann auf jeden Fall Kino.

Dann hoffen wir mal auf ein paar regnerische Tage für „Beste Chance“. Vielen Dank für das Interview!

Über den Autor

Sebastian Klug

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