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Karriere für die Seele: Portrait des Lebenskünstlers Matze Brustmann

Matthias Brustmann lebt in Ammerland ein Leben fernab aller Erwartungen – statt es den Menschen um sich herum recht zu machen, hat er entschieden, vor allem einem Menschen gerecht zu werden: sich selbst. Die Geschichte eines echten Lebenskünstlers.

Um mit einem Geständnis zu beginnen: Am Anfang habe ich den Matze überhaupt nicht gemocht.

Damals, im Zeltlager der katholischen Jugend Waldram im Leitzachtal, Ende der 80er-Jahre, war ich ein etwas schüchterner, schmächtiger und bebrillter, vielleicht neunjähriger Grundschüler, wohingegen der Matze sowie sein Cousin und bester Freund Günther zwei selbstbewusste und in meinen Augen fast erwachsene Elfjährige waren. Ihren Altersvorsprung nutzten sie hemmungslos aus, indem sie sich noch spät nachts um neun Uhr Zitronentee kochten, uns aber gleichzeitig mit gespielt strengem Blick zurück in die Zelte schickten. „So ein Aff“, habe ich mir damals gedacht. Gesagt habe ich aber selbstredend nichts. Hätte mir damals aber auch nichts gebracht: Der Matze hätte es wahrscheinlich eh mit seinem zufriedenen, breiten Lächeln quittiert – und ich wäre nur noch frustrierter gewesen.

Fast 25 Jahre später ist dieses Lächeln immer noch ein zentraler Bestandteil von Matzes Auftreten, mit dem Unterschied, dass ich es heute richtig zu deuten weiß: Es ist Ausdruck einer Haltung, die Dinge, die das eigene Leben ausmachen, selbst in die Hand zu nehmen, anstatt unter ihrer Fremdbestimmtheit zu leiden. Die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und zu befriedigen, statt sich den Erwartungen der Menschen um einen herum zu beugen. Kurz: ein äußeres Zeichen der Fähigkeit, sich sein Lebensglück stetig und vor allem selbstständig zu erarbeiten.

Prinzip Patchworkkarriere

Wie das geht? Im Grunde ganz einfach: Matze folgt seit Jahren konsequent seinen Leidenschaften und vertraut bis zu einem gewissen Maß auch darauf, dass diese sein Leben sowohl seelisch als auch wirtschaftlich unterhalten. Dieses Leben verbringt er vornehmlich auf Skiern, im Kajak und auf der Bühne – und für die wirtschaftliche Grundsicherung in einem Geschäft für Outdoor-Bekleidung in München. Eine Patchwork-Karriere, die von konventionellen Vorstellungen deutlich abweicht:

Karriere im klassischen Sinn, im Sinn von ‚sich hocharbeiten‘, spielt für mich keine Rolle und hat es irgendwie auch noch nie. Ich habe einen starken Drang, meinen Sport und meine Musik zu verwirklichen und mich da weiterzuentwickeln. Und wenn wir dann in den Bergen oder auf Flüssen und Wasserfällen sind und gute Bilder oder Videos machen, ist das natürlich auch etwas, was mich antreibt, einfach, weil ich die Bilder danach auch gerne sehe. Aber Karriere zu machen und mein Glück allein von meinen beruflichen Erfolgen abhängig zu machen, das funktioniert für mich nicht.

…erzählt Matze, und in seiner Stimme schwingt eine Überzeugung mit, die erahnen lässt, dass dieses Thema ihn schon einige Male umgetrieben hat. Die Grundlage dafür, dass dieses Leben funktioniert, liefert ihm seine Familie.

Meine Eltern haben mich glücklicherweise beide in meinem Weg immer unterstützt und alles, was ich mache, gefördert. Von anderen Leuten hab ich schon immer wieder Fragen und Zweifel gehört, wie ich zum Beispiel mal meine Familie ernähren will und solche Sachen, aber nie von meinen Eltern.

Und die Realität hat ihm Recht gegeben: Heute ist Matze glücklich verheiratet und lebt trotzdem das Leben, das er sich ausgesucht hat:

Ich habe da sehr viel Glück, meine Frau lässt mir sehr viel Freiraum, meine Sachen zu machen und ‚spielen zu gehen‘, und das ist wirklich großartig.

Seine Leidenschaft für das Kajakfahren entdeckte Matze schon früh. Im Alter von acht Jahren begann er mit einigen Freunden, das Kajakfahren bei den Naturfreunden Wolfratshausen zu lernen. Die meisten der Freunde warfen nach kurzer Zeit das sprichwörtliche Handtuch, doch Matze und sein Cousin Günther blieben dran und entwickelten einen unglaublichen Ehrgeiz. Ergebnis: die Teilnahme der beiden Cousins bei der Kajak-WM 1999 in Neuseeland. Bei einem an den Wettbewerb anschließenden Trip in Neuseeland kam es dann jedoch zu einem folgenschweren Unfall: Günther ertrank in den Stromschnellen, sein Cousin konnte ihn nicht mehr retten. Ein traumatisches Erlebnis, das Matze nachhaltig verändert hat – seinen Drang, weiterhin Kajak zu fahren, allerdings nicht gemindert hat.

Wir haben vorher schon einige Male darüber geredet, wie es wäre, wenn einer von uns ertrinken würde, einfach weil das bei so einem Sport ja irgendwie immer im Raum steht, aber die Realität ist einem in dem Moment, in dem es passiert, dann trotzdem wahnsinnig fremd. Mein Umfeld und unsere Familien haben viel mehr daran gezweifelt, ob ich mit dem Kajakfahren weitermachen soll als ich selbst. Für mich war irgendwie vollkommen klar, dass ich weitermachen will, Kajakfahren war zu dem Zeitpunkt einfach das Allerwichtigste, was ich in meinem Leben hatte. Wie ich das anstellen sollte, wusste ich damals nicht wirklich, nur dass ich es unbedingt wollte. Ich war in der Zeit nach dem Unfall vollkommen orientierungslos und hatte großes Glück, dass ich Leute um mich herum hatte, die mich aufgefangen haben.

Fernab der Klischees

Matzes Umgang mit seinem Sport ist anders, als man es erwarten könnte – vielleicht auch wegen des Unfalls. Das Extremsportklischee, bei dem sich alles nur um den Adrenalinkick dreht, liegt ihm fern – ihm geht es vielmehr um den nachhaltigen Effekt, den seine sportliche Leidenschaft mit sich bringt.

Klar ist der Kick was sehr Schönes, aber das weitaus Wertvollere sind die Erfahrungen, die Kämpfe mit sich selbst, sich eben jedes Mal aufs Neue zu überwinden, weiterzumachen. Das bringt mich weiter, formt den Charakter. Das ist für mich das eigentlich Zentrale bei Extremsportarten.

Auch der Umgang mit Angst ist für Matze ein großes Thema:

Die Angst, dass was passieren könnte, ist immer da, aber eigentlich eher dann, wenn ich gerade nicht beim Paddeln bin. Beim Kajakfahren selbst ist gar kein Raum dafür. Am Ende hat es ganz viel damit zu tun, wie man mit der Angst umgeht und wie viel Vertrauen man in das eigene Können hat. Das ist eine Trainingssache. Genauso, wie man den Körper oder seine Kondition trainiert, muss man bei so einem Sport die Psyche trainieren. Wenn ich der Anspannung nicht standhalten kann, geht es nicht.

Eine Frage der Mischung

Den Gegenpol zum Sport stellt in Matzes Leben seit jeher die Musik dar – ein Teil der DNA der im Landkreis weit verzweigten Familie Brustmann. Nachdem er sich gemeinsam mit seinem Cousin Benny Schäfer (b), den Brüdern Tobi (key, voc) und Andi Haberl (dr) sowie dem Gitarristen Christian „Radi“ Radojewksi über fast ein Jahrzehnt als Los Burritos Kultstatus im Tölzer Land und weit darüber hinaus erspielt hatte, stand vor etwas mehr als zwei Jahren eine Umfirmierung ins Haus:. Zu sehr hatte sich die Musik der Freunde von lockerem Ska, Funk und Rock wegentwickelt zu sphärischen, tiefen und ruhigen Songs. Im letzten Jahr erschien auf dem Münchner Label Millaphon das selbstbetitelte Debütalbum von Balloon Pilot. Ein ruhiges, verträumtes und trotzdem energetisches Album, das auf den ersten Blick so gar nicht zum Extremsportgefühl passt, auf den zweiten jedoch umso mehr.

Beim Ski- oder Kajakfahren bin ich ab dem Moment, wenn’s losgeht, sofort total fokussiert. Auf einem Fluss wird das Leben für mich in dem Moment unfassbar einfach. Es gibt in dem Moment nichts anderes, als diesen Fluss zu bewältigen. Beim Songs Schreiben ist es dagegen eher das Gegenteil. Statt mich zu fokussieren, geht’s da eher ums Abschweifen und darum, mich zu zerstreuen. Ein vollkommen anderes Gefühl, das ich aber eben hin und wieder genauso dringend brauche.

Die Kombination von Sport und Musik ist es, was Matzes Leben erfüllt.

Ich merke immer wieder, wie dringend ich die Abwechslung brauche: Ich kann nicht nur Musik machen, ich muss dazwischen paddeln, Ski fahren oder auch einfach hier in München im Laden arbeiten. Sonst raste ich aus.

Abwechslung, die ihn auch mal in die Bredouille bringt.

Oft führt das dazu, dass ich ziemliche Kompromisse machen muss. Da spüre ich ‚Ich muss jetzt Skifahren gehen!‘, sollte mich aber eigentlich grad mit anderen Dingen beschäftigen, um da weiterzukommen. Zum Beispiel die nächste Platte fertig machen. In solchen Momenten bin ich dann mit nichts von dem, was ich mache, zufrieden.

Während er das sagt, blickt er für einen Moment fast melancholisch vor sich hin, atmet tief durch und erklärt mit genau der weichen Stimme, die auch seinen Songs ihren unvergleichlichen Charme verleihen.

All das machen zu können, das Skifahren, die Kajakreisen, die Musik, erfüllt einfach mein Leben. Das prägt mich und meine Persönlichkeit, viel mehr, als dass sie von außen geprägt worden wäre – und das ist ein sehr gutes Gefühl.

Die eigene Persönlichkeit durch das eigene Handeln entwickeln: In einer Zeit, in der in jedem Haushalt mindestens ein Glücksratgeber im Regal steht, ist das vielleicht der beste Ratschlag, den man sich holen kann. Kurz, klar, gratis – und wie man am Beispiel von Matze Brustmann sehen kann: durchaus erfolgreich.

Über den Autor

Sebastian Klug

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