Leben & Geniessen

Die „mei Dahoam“-Wirtshausserie – Teil 1: Das Altenauer Dorfwirt-Wunder

Da ihnen ein Treffpunkt fehlte, bauten sich die Altenauer in einer gemeinschaftlichen Hauruck-Aktion einfach ein Wirtshaus. Und was für eines.

Unverschämt knusprig liegt ein Münchner Schnitzel in seiner Meerrettichpanade auf einem Bett aus heißen Bratkartoffeln mit Schnittlauchkringeln. Keck reckt sich einem der kleine Löffel aus dem randvoll mit Preißelbeeren gefüllten Schälchen entgegen, als wolle er sagen: Worauf warten? Das Bier perlt am kühlen Glas zur Schaumkrone hinauf. Schwungvoll saust die Wirtin mit dem kessen Kurzhaarschnitt und ihrem offenen Lachen durch die Gaststube; die Tische unter den geschmackvoll karierten Vorhängen sind mit einer bunt gemischten Gästeschar besetzt.

Mit Elan, Tatkraft und Herzblut

Gleich neben dem Durchgang zur Küche, aus der gerade leidenschaftliches Schnitzelklopfen den Herzschlag des Wirtshauses vorgibt, steht der Stammtisch. Florian Spiegelberger, Wirt und Küchenchef des Altenauer Dorfwirts, streicht liebevoll über die hölzerne Platte. „Extra handgeschreinert. Ob Esche oder Erle weiß ich nicht genau. Aber der Baum stand bei der Matilde im Garten.“ Matilde ist eine der vielen Altenauerinnen und Altenauer, deren Elan, Tatkraft und Herzblut dazu beigetragen haben, dass es in der kleinen 600-Seelen-Ortschaft zwischen Murnau und Oberammergau wieder eine pulsierende Dorfwirtschaft gibt. Das grassierende Wirtshaussterben hatte in den Neunzigern auch dort Einzug gehalten. Wo seit der Eröffnung 1954 geselliges Beieinander, sonntägliche Frühschoppen und rauschende Bälle möglich waren, herrschte für gut zehn Jahre im wahrsten Sinne des Wortes unwirtliche Ödnis: Das leer stehende Gasthaus kümmerte eingemottet vor sich hin. Kaum vorzustellen, jetzt wo man im fröhlichen Summen und Brummen vor einem dampfend frischen Mittagessen sitzt, umgeben und überwältigt von der einladenden Herzlichkeit der Altenauer.

Mit an den maßgeschreinerten Stammtisch hat sich inzwischen eine kleine Delegation der Wirtshausretter gesetzt: Thomas Bader, Marlene und Robert Soukup. „Die Euphorie und die Zustimmung waren von der ersten Sekunde an ungebrochen.“ Marlene Soukup strahlt. Von Januar 2013 bis zur Eröffnung im August 2014 hatte sich in Altenau alles in Bewegung gesetzt, um den Traum vom eigenen Wirtshaus Wahrheit werden zu lassen. Als Genossenschaft finanzierten sie einen Großteil der Kosten, und als Dorfgemeinschaft opferte man jede freie Minute für eine umfassende und detailverliebte Kernsanierung des Gebäudes. Dieser aus kollektiver Plackerei für ein gemeinsames Ziel entsprungene Geist der Kameradschaftlichkeit ist heute für jeden Besucher in jedem Kubikzentimeter des Altenauer Dorfwirts zu erspüren. Angefangen bei den in der alten Bausubstanz gefundenen historischen, mühsam von Hand gesäuberten und überall sichtbar verbauten Ettaler Ziegelsteinen, über den noch jungfräulich hellen Dorfsaalboden aus dem Holz von eigens dafür gefällten Tannen bis hin zur maßgefertigten, schicken Holzvertäfelung des Gastraums ergänzt sich alles – zusammen mit der offen gelebten Herzlichkeit – zu einer selten in diesem Maß erlebbaren gastlichen Atmosphäre.

Die Gute Stube von Altenau

Eine besondere Bausubstanz allein macht aber freilich noch kein Wirtshaus lebendig. Für einen florierenden Betrieb braucht es vor allem die passenden Pächter. Izabella und Florian Spiegelberger sind ein echter Glücksfall für die Altenauer. Das junge Paar beseelt mit seinem spritzigen Charme das Haus auf eine ganz eigene, unnachahmliche Art und Weise: „Das hier ist keine Durchgangsstation. Das hier ist unsere Heimat geworden“, sagt Wirtin Izabella, die mit einem Arm voll blitzblank leer gegessener Teller auf dem Weg zurück in die Küche einen kurzen Stopp am Stammtisch eingelegt hat.

Die Mittdreißigerin ist Wirtin mit Leib und Seele, der Altenauer Dorfwirt für sie und ihren Mann ein echtes Herzensprojekt. Dass sich die beiden „auf immer und ewig!“ dem Gasthaus verschrieben haben, merkt man in jedem fürsorglich ausgeführten Handgriff, an jedem liebevollen Detail: Die Speisekarte ist nicht in schnödes Plastik gepackt, sondern liegt auf feinem Papier gedruckt zwischen wundervoll gemasertem Holz. Kaum kneift man auch nur ein bisschen die Augen zusammen, weil man sich sehschwächenbedingt beim Lesen schwertut, wird ein edles hölzernes Etui mit einer Auswahl an Lesebrillen gereicht. Izabella scheint überall zugleich zu sein. Noch scherzt sie mit einer Stammkundschaft, schon nimmt sie herzlich neue Gäste in Empfang, führt eine ältere Dame behutsam zu einem bereits eingedeckten Platz und schwirrt kurz darauf – Bestellungen, Teller und Getränke jonglierend – am Ausschank vorbei. Sie versprüht Fröhlichkeit, es macht Freude ihr zuzusehen, und man erfährt am eigenen Leib, dass man sich hier als Gast willkommen und gut aufgehoben fühlt – in der Guten Stube von Altenau. „Es gibt Leute, die sind fast täglich da. So wie der Heinz“, erzählt Marlene Soukup. „Der Heinz, den hat man, seit er in Rente gegangen ist, im Dorf kaum mehr wahrgenommen. Dann macht die Wirtschaft auf – und seither sitzt der Heinz wieder da, fühlt sich wohl und spielt ab und zu sogar Ziehharmonika.“

Jenseits provinzieller Spießigkeit

Der Heinz, ein schnauzbärtiger Koloss mit Siegelring, hockt abends dann tatsächlich mit geruhsamer Selbstverständlichkeit vor seinem Bier und beobachtet liebenswürdig unbekümmert, wie sich die Wirtsstube auf den inzwischen berühmt-berüchtigten Musikantenstammtisch vorbereitet. Immer am ersten Donnerstag im Monat laden die Wirtsleute jeden, der bei ihnen ungezwungen musizieren will, auf die Getränke ein, und dafür wird den ganzen Abend nach Lust und Laune aufgespielt. Nach und nach trudeln jetzt Musiker in Tracht aus allen Ecken des Oberlands ein, lassen sich an den Tischen im vorderen Teil des Gastraums nieder, Blech blitzt und blinkt, Noten rascheln, Instrumentenkoffer klacken. Viele kennen sich gar nicht, aber man findet über ein vereinbartes Anfangs-Dur zusammen, und schon geht es lässig-leger und nonchalant-zünftig dahin.

Die Stube ist bis auf den letzten Platz mit Gästen besetzt, die Stimmung gelöst. Beeindruckend ist vor allem, dass nicht nur Traditionalisten jenseits der Fünfzig an Harmonika, Tuba und Co. brillieren. Ganz im Gegenteil: Der Wunderbursche Fabian an der Steirischen, der die vertrackten Stücke Herbert Pixners virtuos und dabei fast schon salopp zum Besten gibt, ist 19, und die Geli, autodidaktische Granate am Kontrabass, gerade einmal 17. Sie jammen sich gemeinsam mit den ebenso anwesenden Urgesteinen mit einer derart lockeren Selbstverständlichkeit durch die bayerische Volksmusik, dass sich jeder Verdacht auf altbackene Folklore im Nu verflüchtigt. In der proppenvollen Gaststube des Altenauer Dorfwirts kann man an solchen Abenden eine perfekte Mischung aus Tradition, Gegenwart und Neugier erleben – keine Spur von der unangenehm bemühten, provinziellen Volkstümelei, die oftmals als bayerische Authentizität verkauft wird. Es wird eine unvergessliche Nacht, in der Jung und Alt, Einheimische und Auswärtige, Gäste und Personal, Musikanten und Publikum Schulter an Schulter und Herz an Herz bis in die Morgenstunden die Wirtsstube mit Liedern, Lachen und Leben füllen.

Bayerisch, polnisch, traditionell

„Heutzutage brauchst du etwas Besonderes. Mit gutem Essen allein kannst du die Leute nicht mehr locken“, erklärt die Wirtin Izabella. Darum investiert das Wirtspaar gerne Zeit und Fleiß in kulturelle Schmankerl wie den Musikantenstammtisch oder holt beliebte Künstler auf die nagelneuen Bühnenbretter im Dorfsaal. So wie beispielsweise den Kabarett-Senkrechtstarter Helmut A. Binser, das bayerische Stand-Up-Wunderkind Martin Frank oder die Heimatsound-Champions HUNDLING. Für den Binser kamen die Leute, trotz legendärem Faschingsball in der Nachbargemeinde, aus einem Umkreis von über 50 Kilometern angereist. Fragt man die Gäste, was sie hergelockt habe, ist die Antwort dann aber doch oft: das Erlebnis, das herzliche Flair und – das gute Essen.

Die kleine, aber feine, oft wechselnde Karte macht einen ehrlichen Eindruck, und fragt man Wirt Florian nach dem Geheimnis für seinen zu Recht schon legendären Schweinebraten, antwortet er mit sympathischem Understatement: „Es ist ganz simpel: Ich mache das Fleisch zweimal am Tag frisch und kaufe gute Zutaten.“ Neben dem herrlichen Braten, dessen Kruste beim Essen so laut kracht, dass man sich kaum noch sinnvoll unterhalten kann, gibt es noch einen weiteren Geheimtipp auf der Altenauer Karte: die traditionellen Spezialitäten aus der polnischen Heimat der Wirtin Izabella. Die aufwendig von Hand hergestellten gefüllten Teigtaschen, die Pirogie, haben ebenso einen guten Ruf bei Polenspezialisten wie der deftige Krauteintopf Bigos. Und lässt man sich mit kugelrundem Bauch nach dem Essen zu einem oder zwei der edlen Brände überreden, die die Wirtin wirklich mit gutem Gewissen empfehlen kann, dann ist es ideal, dass der Altenauer Dorfwirt im ersten Stock auch noch sechs äußerst charmante Gästezimmer parat hat …

„Besser hätte es nicht werden können!“

Thomas Bader und Robert Soukup haben mit acht weiteren Altenauern das Projekt „Altenauer Dorfwirt“ aus der Wiege gehoben. An ihrem Stammtisch plaudern die beiden zusammen mit Marlene Soukup aus dem Nähkästchen

Was war euer erster Schritt in Richtung „Dorfwirt“?

Thomas: Anfangs sind wir zum Klinkenputzen gegangen. Bei Leuten, wo wir dachten, dass Interesse an dem Vorhaben besteht und die sich auch beteiligen könnten.

Robert: Dann haben wir zu einer ersten Versammlung aufgerufen, bei der wir versucht haben, die Altenauer von unserer Idee zu überzeugen, und sie baten, in den darauffolgenden zehn Tagen Absichtserklärungen bei uns abzugeben, wie viel man denn bereit wäre, finanziell beizusteuern.

 Und wie war der Zuspruch?

Marlene: Unerwartet positiv! Der erste kam am nächsten Tag um halb neun Uhr morgens. Mit einer Absichtserklärung über 5.000 Euro. So ging das dann weiter.

Robert: Da kam eine Menge Geld zusammen. Aber letztendlich hätte es ohne die insgesamt 22.000 ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden nicht funktioniert.

Warum?

Robert: Ohne diese Eigenleistung wäre ein Wirtshaus so nicht möglich. Für uns stand nie die Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern immer der Mehrwert, den ein Wirtshaus für die Ortschaft bedeutet.

Seid ihr mit dem Ergebnis zufrieden?

Thomas: Sehr. Besser hätte es nicht werden können. Das ganze Projekt hat unseren Ort positiv geprägt. Wir haben jetzt nicht nur wieder einen belebten Treffpunkt, sondern auch eine durch die Bauphase zusammengeschweißte Dorfgemeinschaft.

Robert: Es gibt eine Sache, da bin ich persönlich besonders stolz auf uns und auf Altenau. Wir kamen nie an den Punkt, wo man gemeint hat, jetzt scheppert’s gleich. Diskutiert haben wir viel. Aber nie gestritten.

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