Kunst & Handwerk

Larven für Maschkera: Der Maskenschnitzer aus Mittenwald

Stolz zeigt Georg Neuner aus Mittenwald die Kunstschätze aus seinem Familienbesitz: Seine älteste Gesichtsmaske ist von 1757. In Mittenwald nennt man die filigranen Kunsthandwerke jedoch nicht Masken, sondern Larven

Schon Georg Neuners Urgroßvater war einer der ersten Schnitzer, die in Mittenwald Berühmtheit erlangten und deren Larven kopiert wurden, so kunstvoll waren sie angefertigt. Alle in der Familie waren „Holzwürmer“, von besagtem Urgroßvater bis zu ihm. Und glücklicherweise zeigt sich beim jüngsten Sohn Quirin ebenfalls schon unverkennbar die Tendenz, dass er gerne mit Holz arbeitet. Wenn Neuner hobelt, schleift und schnitzt, geht ihm das Herz auf, und er kann sich ganz seinem Lieblingswerkstoff widmen, dem Holz. An den Wänden seiner Werkstatt hängen Schleifpapiere, Schnitzmesser und Stemmeisen. So sah es auch schon vor Jahrhunderten in einer Holzwerkstatt aus.

Fast immer kommt das Holz für Neuners Kunstwerke aus einheimischen Wäldern. Nicht nur das Rohmaterial findet Georg Neuner vor der Haustür, er hat auch einen atemberaubenden Ausblick vor Augen. Wenn er ein paar Schritte aus der Werkstatt heraustritt, blickt er auf die majestätischen Berggipfel Gerber, Lindenkopf und Brunnstein. Ein Panorama wie aus dem Bilderbuch. Jedes Jahr an Fasching flimmern die Bilder von den Maskierten, wie sie vor dieser Bergkulisse ihre Bräuche zelebrieren, über nationale und internationale Fernsehschirme.

Seit mindestens 500 Jahren gibt es die Werdenfelser Fasnacht. Noch heute verstecken jedes Jahr die erwachsenen Männer der Region ihre Gesichter hinter den faszinierenden Masken, ohne dass eine Tourismusbehörde sie dazu ermuntert. Das Brauchtum um die Masken ist so alt, authentisch und lebendig, dass keine Rückendeckung durch den Fremdenverkehr nötig ist. Im Gegenteil: Manche Touristen sind eher irritiert von der Wildheit der Masken, wo ihnen doch sonst in der Zugspitzregion mit Herzlichkeit und Gemütlichkeit begegnet wird.

Holz für Geigen und Larven

Die hölzernen Larven befinden sich seit Generationen im Familienbesitz. Die Schnitzarbeiten sind von einer Präzision, die weit von jeder Humtata-Rustikalität entfernt ist. Auch Georg Neuner hat historische Stücke in seiner Glasvitrine. Manche von besonders ausgeprägter Ausdruckskraft hat er nachgeschnitzt, um ihre Schönheit für die Nachwelt zu erhalten.

In seiner Werkstatt ist er umgeben von Werkzeugen, die er auch zum Geigenbau braucht: Hobel, Sägen, Hämmer, Feilen, Sandpapier, Bleistifte. Denn im Hauptberuf ist Georg Neuner Geigenbaumeister. Seine Heimat Mittenwald ist die Stadt des Geigenbaus, und Georg Neuner ist sogar Vizedirektor der Geigenbauschule in Garmisch-Partenkirchen. Aber es gibt die närrische Zeit im Jahr, da spielen die Streichinstrumente bei ihm lediglich die zweite Geige. Da juckt es ihn in den Händen, und er will eine neue Maske schnitzen. Früher wurden die Masken im Winter in den Wohnstuben gefertigt, dem einzigen Raum, der geheizt wurde. Denn mit klammen Fingern wären die feinen Arbeiten nicht machbar.

Das weiche Holz der Zirbelkiefer

„Wenn ich ein Stück Holz in die Hand bekomme, muss ich was draus machen“, erklärt Georg Neuner schmunzelnd seine Leidenschaft und bindet sich die grüne Arbeitsschürze um. Erst kommt die Bandsäge zum Einsatz, um dem Klotz die gerundete Form zu geben. Konzentriert reibt Neuner über den geschwungenen Stamm, dem er neues Leben einhauchen wird. Nichts macht er lieber, als Holz zu verwandeln. Dann ist Georg Neuner ganz im Einklang mit sich selbst. Er kann dabei alles um sich herum ausblenden. Für ihn sind Holzarbeiten auch deshalb so befriedigend, weil sie die perfekte Kombination aus körperlicher Arbeit und Kreativität darstellen. Er kann gestalten, sein Gespür für Proportionen schärfen und im Idealfall eine neue originelle, nie da gewesene Maske designen.

In Georg Neuners Werkstatt riecht es anheimelnd nach Almhütte. Der Duft kommt vom Zirbenholz, das er für seine Masken verwendet. Jeder Vorgang der Bearbeitung setzt das ätherische Öl im Material frei. Maskenbau ist ein konservatives Handwerk. Eine Maske schnitzt man wie vor Jahrhunderten in Handarbeit. Georg Neuner hat jahrzehntelange Routine: „Wenn es pressiert, fange ich morgens mit einer Maske an, und abends kann ich schon mit ihr auf den Fasching.“ Zur Demonstration erhöht er sein Hobeltempo. Holzspäne schießen jetzt wie aus einem unregelmäßigen Springbrunnen über den Handwerker hinweg. Dann hält er plötzlich inne und lächelt: „Aber mir pressiert es ja nicht!“ Die Späne haben sich nicht nur in seinen Haaren verfangen, sondern bedecken auch den Boden der Werkstatt wie frisch geschnittene Locken beim Friseur. Neuner schüttelt sich, um die widerspenstigen Holzröschen abzuwerfen. Späne, zart wie Babyhaare, rieseln auf die Werkstattdielen.

Die Larven werden für den jeweiligen Träger nach Maß angefertigt. Aus Zirbe sind sie geschnitzt, weil das Holz duftet und sehr leicht ist. Bärte, Hakennasen, hochstehende Wangen, ausgeprägte Augenbrauen, alles wird ins Zirbenholz geschnitzt, gehobelt, gefeilt oder aufgemalt. Trotz aller Betriebsamkeit ist der helle Raum ein Ort der Besinnlichkeit.

Tradition seit 500 Jahren

Ganz anders als das wilde Faschingstreiben, bei dem die Masken zum Einsatz kommen. Laut und ausgelassen geht es zu, wenn maskierte Männer im Werdenfelser Land Maschkera gehen. „Man muss nicht nach Afrika oder in die Südsee reisen, um archaische Maskenrituale zu erleben“, schmunzelt Georg Neuner. Die Masken der Werdenfelser Fasnacht muten wahrlich exotisch an. Denn das ist die Voraussetzung für alle, die ihr Gesicht dahinter verstecken: Ein echter „Maschkera“ muss unerkannt bleiben hinter seiner Larve. Erst ab Mitternacht darf er sich zu erkennen geben.

Mitte Januar geht der Mittenwalder Fasching los: Jeden Montag-, Dienstag- und Donnerstagabend ist „Gunkel“ in den Wirtshäusern: Musik und Tanz. Diesen Brauch liebt Georg Neuner sehr, da ist er seit seiner Jugend aktiv dabei. Schon beim „Gunkeln“ bleiben die Männer unerkannt hinter ihren Larven, wenn sie die Frauen zu ausgelassenen Tänzen auffordern. Höhepunkt des Mittenwalder Faschings ist aber unzweifelhaft der Unsinnige Donnerstag. Der hat an diesem Tag mittlerweile sogar seinen festen Sendeplatz in den Abendnachrichten, weil er so kurios erscheint und durch die wilden Gesichtsfratzen aus Holz wie aus der Zeit gefallen scheint. Die Tradition ist nachgewiesenermaßen mindestens 500 Jahre alt, die Grundlage des kunterbunten Treibens keltisch-heidnischen Ursprungs. Die Schellenrührer in Mittenwald wollen den tristen Winter mit Lärm vertreiben. Auch die anderen Maskierten des Mittenwalder Faschings, die Jackelschutzer und Pfannenzieher, heizen dem Winter kräftig ein. Alle tragen sie die Larven.

Am meisten Aufmerksamkeit bekommen die Schellenrührer mit ihrem rhythmischen „Hupfen“. Pünktlich mit dem Mittagsläuten stellen sich ein Dutzend Männer der Größe nach in der Fußgängerzone auf. Alle sind in Tracht gekleidet, haben einen Gürtel mit schweren Kuhglocken umgeschnallt und das Gesicht durch die Larve verdeckt. Dann wecken die Schellenrührer mit schweißtreibenden Synchronsprüngen den Frühling. Bis zum 6-Uhr-Läuten. Keiner der Männer ist über 35. Jeder macht den Brauch ein paar Jahre mit, dann kommen Jüngere nach. Das Hupfen ist Schwerstarbeit. Da ist es gut, eine duftende, gut sitzende Gesichtsmaske zu tragen.

Egal ob nach dem Fasching der Frühling kommt oder sich verspätet, auch in Mittenwald endet das wilde Treiben am Aschermittwoch. „Meine Masken kommen dann wieder in ihr Versteck, denn es soll ja niemand erfahren, dass ich sie getragen habe“, verrät Georg Neuner. Dann geht er in seine Werkstatt und schärft seine Schnitzmesser. Denn: Nach dem Fasching ist vor dem Fasching.

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