Das Filmfest München ist in vollem Gange – und mei Dahoam Autor Sebastian Klug streift die ganze Woche lang beharrlich von Kino zu Kino. Dass er dabei echten Filmperlen begegnet, ist unausweichlich. Ein paar ausgewählte stellt er hier exklusiv vor. Diesmal: Wir waren Könige von Philipp Leinemann.
Polizeifilme sind kein klassisch deutsches Genre. Wie auch: Während in den USA Polizisten ihren Dienst in coolen, dunkelblauen Uniformen verrichten und immer martialischer auftreten, trägt die Polizei zumindest in Bayern durchfallfarbene Hosen und hat trotz immer wieder auftauchender Gewaltvorwürfe ein eher biederes Image. Damit taugen sie – wenn überhaupt – für Komödien, aber nicht für Thriller. Könnte man meinen. Dass diese Weisheit nicht in Stein gemeißelt ist, beweist Autor und Regisseur Philipp Leinemann jetzt eindrucksvoll mit seinem Debütfilm Wir waren Könige.
Kevin (Ronald Zehrfeld) und Mendes (Mišel Matičević) führen eine SEK-Einheit in einer namenlosen deutschen Großstadt. Zermürbt von dem Elend, das ihnen täglich bei der Arbeit begegnet, und der drögen Politik in ihrem Behördenapparat machen sie und ihr Team immer häufiger schwerwiegende Fehler bei der Arbeit. Als eines Tages zwei Mitglieder ihrer Einheit ermordet aufgefunden werden, entspinnt sich zwischen der SEK-Einheit, der Streifenpolizei und zwei rivalisierenden Jugendgangs eine Spirale der Gewalt, in der niemand schuldig, aber eben auch niemand unschuldig ist.
Klingt verwirrend? Nun ja, mehr kann man in aller Kürze im Grunde nicht über Wir waren Könige erzählen. Denn die Handlung selbst ist so komplex, die Beziehungen zwischen den Charakteren so zahlreich, dass das Entwirren all dessen den kompletten Film in Anspruch nimmt. Da ist die Jugendgang, angeführt von Jacek (Frederick Lau), in der es so sehr brodelt, dass bereits ein einfaches „Hallo“ eines kleinen Jungen zu schimpfwortschwangeren Wutausbrüchen führen kann; Der Freundeskreis um Thorsten (Tilman Strauß) und Ioannis (Oliver Konietzny), die in bester Platzhirschmanier Jaceks Gang zeigen wollen, wer der Herr im Viertel ist; Der 13-jährige Nasim (Mohammed Issa), der um jeden Preis zu Thorstens Freunden gehören will und dafür einiges zu tun bereit ist; Und die Streifenpolizistin Nadine (Samia Chancrin), die die Gewalt der SEK Beamten zwar verabscheut, ihr aber auch scheinbar nichts entgegenzusetzen hat. Jeder von ihnen folgt eigenen Vorstellungen von Recht und Unrecht, und jeder von ihnen wird früher oder später ein Opfer seines Willens, seiner Sehnsüchte oder einfach seines Überlebenswillens – was in jedem der Fälle fatale Folgen hat, aber auch jedes Mal aufs Neue für den Zuschauer nachvollziehbar ist. Gut und Böse vermischen sich immer mehr, nie wird eindeutig klar, wem man seine Sympathien zuteil werden lassen kann. Das klassische Prinzip des Whodunit ist in diesem höchst dramatischen Thriller von Beginn an nicht existent, an seine Stelle treten der tiefe Fall in das Elend und die anschließende Suche nach dem scheinbar nicht existenten Ausweg.
Dass Zehrfeld und Matičević hier mit ihrer allein schon physischen Präsenz brillieren, wirkt wie ein Deja-Vú: Immerhin spielten die beiden bereits gemeinsam in Dominik Grafs hochgelobter Miniserie Im Angesicht des Verbrechens, dort allerdings noch als Gegenspieler. Während Zehrfeld bei Graf jedoch noch den hochmotivierten Heißsporn und Matičević den abgeklärten Mafiapaten gab, stehen die beiden in Wir waren Könige als stiernackige, breitschultrige, in dicke Parkas gewandete Übermänner vor der Kamera. Bier, Schnaps, Zigaretten, hier und da ein cooler Spruch, bevor man sich im Einsatz die Nase brechen lässt – bei den von ihnen gespielten Polizisten Kevin und Mendes spart Regisseur Leinemann zu Beginn des Films nicht mit Klischees über gebrochene Männerseelen. Aus dieser archaischen Haltung heraus entsteht jedoch nach und nach die einzigartige Kraft der Geschichte, die anfangs an die großen Polizei- und Gangsterthriller von Autorenfilmlegende Michael Mann (Heat, Miami Vice, Public Enemies) erinnern mag, sich jedoch spätestens ab Filmmitte eine erfrischend eigene Tonalität erarbeitet: Ohne ein klassisches, großes Finale überzeugt Leinemann mit einem hochdramatischen Ende, dass einem den Atem stocken und sogar Männern (und aus denen dürfte in so einem Film das Publikum hauptsächlich bestehen) eine Träne über die Wange kullern lässt. Denn so viel sei verraten: Dass die „Könige“ Kevin und Mendes am Schluss keine Könige mehr sein können, ist unausweichlich.
Fazit: Wir waren Könige ist ein schneller, düsterer, deutscher Polizeithriller. Wer seichte Unterhaltung sucht, wird mit diesem Film nicht glücklich werden – wer jedoch komplexe Geschichten zu schätzen weiß und vor harter Gewalt (mehr psychisch denn visuell) nicht zurückschreckt, wird mit einem großartigen Drama unterhalten und den Kinosaal im Idealfall begeistert und zugleich verstört verlassen.