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Wakefield: Ein Filmtipp frisch vom Filmfest München 2017

Das Filmfest München ist vorbei – und mei Dahoam Autor Sebastian Klug ist mal wieder eine ganze Woche lang beharrlich von Kino zu Kino gepilgert. Diesmal hat es ihm der neueste Film mit dem diesjährigen Preisträger des Cinemerit-Awards Bryan Cranston angetan, Wakefield.

Je perfekter unser Leben wird, umso unzufriedener scheinen wir damit zu sein. Erscheint paradox, ist aber immer häufiger zu beobachten. Doch wie kann es dazu kommen?

In Wakefield näher sich die Autorin und Regisseurin Robin Swicord diesem Thema auf die direkteste Art: Durch einen Protagonisten, der bereits tief in diesem Dilemma gefangen ist.

Howard Wakefield (atemberaubend intensiv dargestellt von Bryan Cranston) ist genervt, unzufrieden bis ins Mark. Stoisch marschiert er durch die Menschenmassen in Manhatten, durch die Wartehalle der Grand Central Station, durch den überfüllten Zug, und schluckt auch den unausweichlichen Zugausfall mit anschließendem Marsch nach Hause und bis in die Einfahrt seines Hauses. Doch selbst im trauten Heim steht Howard unter Stress: Ein Waschbär hat es sich zwischen Garage und Mülltonnen breit gemacht, und als Howard ihn verjagen will, flüchtet sich das Tier auf den Dachboden über der Garage. Der Hausherr folgt dem Tier, verjagt es erfolgreich, wagt einen Blick aus dem Fenster des Dachbodens in das Wohnzimmer seines Hauses – und ist vom ersten Moment an gebannt von dem, was er da sieht: Seine bildhübsche Frau Diana (Jennifer Garner) hat das Abendessen bereits auf den Tisch gestellt und wartet gemeinsam mit den Kindern auf ihren Mann. Doch statt nach unten und in sein Haus zu gehen, verharrt Howard zwischen dem Gerümpel, beobachtet voller Hass, unterdrückter Wut und Schadenfreude die wachsende Angst und Verzweiflung seiner Frau und richtet sich häuslich in seinem Refugium ein – erst für Stunden, dann für Tage und schließlich für Wochen und Monate. Und während im Haus das Leben langsam weitergeht, rückt Howards Rückkehr in seinen nur wenige Meter entfernten Alltag immer mehr in weite Ferne.

Das Gefühl, aus seinem Leben ausbrechen und alle Verpflichtungen hinter sich lassen zu können, wird in Wakefield kompromisslos zu Ende gedacht. Das Bild der scheinbar intakten Familienidylle wird jedoch immer wieder von Howards Rückblenden in Frage gestellt, die aufzeigen, dass die Belastung der gesamten familiären Beziehung weitaus tiefer liegt als in alltäglichem Stress. Der teilweise aggressiv-zwanghafte Charakter von Howard, der bei seinem perfektionierten Ausstieg zutage tritt, erklärt sich damit erst komplett.

Getragen wird der Film fast vollständig von der überwältigenden Performance von Bryan Cranston. Seine mal knurrende, mal säuselnde Off-Stimme lässt bereits mit geschlossenen Augen Bilder entstehen und die Gefühle seiner Figur nachempfinden. Und auch optisch beeindrucken seine Metamorphose vom gezügelten Wall-Street-Banker zum verwahrlosten Müllsammler sowie seine Stimmungswechsel: Als sich Howard beispielsweise zum ersten Mal tagsüber mitten auf den Marktplatz seines Vorortes setzt, stockt einem der Atem – als Howard sich langsam in Sicherheit wiegt, dass ihn niemand erkennt, wird man auch als Zuschauer wieder ruhiger.

Dass der Film Ungereimtheiten aufweist, schmälert den Genuss nicht. Dass bislang noch kein Deutschlandstart feststeht, dagegen umso mehr: Wakefield schlägt den Bogen zwischen Arthouse und Mainstream auf seine ganz eigene Weise, mit einem Thriller ohne Verbrechen und einem großartigen Bryan Cranston, der nach Breaking Bad einmal mehr einen Mann spielt, der zwischen zwei Lebensrealitäten gefangen ist. Für welche Seite sich Howard Wakefield am Ende entscheidet und ob er überhaupt noch die Wahl hat, sollte jeder selbst herausfinden – zur Not dann in ein paar Monaten zu Hause auf der Couch. Im Idealfall auf der eigenen und nicht auf der über der Garage.

Über den Autor

Sebastian Klug

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