Das Filmfest München ist in vollem Gange – und mei Dahoam Autor Sebastian Klug streift die ganze Woche lang beharrlich von Kino zu Kino. Dass er dabei echten Filmperlen begegnet, ist unausweichlich. Ein paar ausgewählte stellt er hier exklusiv vor. Diesmal: Wir sind die Neuen von Ralf Westhoff.
„…es is zwar traurig, aber es is woahr: Des Oanzige, wos wirklich zählt auf dera Welt für di, is Geld“ sang Mitte der 80er Jahre Hans-Jürgen Buchner alias Haindling und fasste damit eine bedenkliche Entwicklung in einem Satz und Lied (Paula, dem Titelsong der Serie Zur Freiheit) zusammen: Eine Gesellschaft, die sich mehr und mehr dem Profit und dem Wachstum verschreibt und sich damit langsam, aber sicher von innen heraus aushöhlt.
Fast 30 Jahre später ist diese Entwicklung spürbar vorangeschritten: Vielen Alten fehlt das Geld, einen Gang runter zu schalten und ihren Lebensabend zu beschreiten, den Jungen die Zeit, sich überhaupt damit zu befassen. Die Generationen drohen – zumindest im urbanen Raum – immer mehr gegeneinander als miteinander zu agieren. An diesem Punkt setzt der Autor, Produzent und Regisseur Ralf Westhoff an, der sich nach seinem Überraschungerfolg Shoppen (2007) in seinem neuen Film Wir sind die Neuen dieses Generationenkonfliktes annimmt.
Anne (Gisela Schneeberger) hat geraume Zeit Biologie studiert und ihr Leben anschließend dem Schutz der Schleiereule gewidmet – ein zwar lobenswertes, aber eben leider nicht erträgliches Engagement, was Anne klar wird, als sie wegen Eigenbedarf aus ihrer Wohnung geworfen wird und sich mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass ihr das Geld für eine neue, eigene Wohnung fehlt. Kurzerhand überredet sie ihre beiden ehemaligen Mitbewohner, den intellektuellen Anwalt Johannes (Michael Wittenborn) und den zwar gealterten, aber immer noch attraktiven Draufgänger Eddi (Heiner Lauterbach), ihre gemeinsame WG aus Studienzeiten wieder aufleben zu lassen. Freudig stellen sie sich ihrer Nachbar-WG vor, um umgehend festzustellen, dass das heutige Studentenleben sich deutlich von dem unterscheidet, was sie von damals kennen. Schnell beginnt ein Kleinkrieg, in dem die junge Generation jedoch bald feststellt, dass sie selbst ihr größter Gegner ist.
Die zwei großen Qualitäten von Westhoffs Filmen sind zum einen seine Gabe, gesellschaftsrelevante Themen zu erkennen, zu analysieren und in einer Geschichte wiederzugeben – und zum anderen seine Dialoge, bei denen jedes Wort an der richtigen Stelle sitzt und die damit für ein ständig perfektes Tempo sorgen. Beide Qualitäten spielt Westhoff in Wir sind die Neuen leidenschaftlich aus – was nicht zuletzt der Verdienst des großartigen Schauspielensembles ist. Besonders Heiner Lauterbach kann einmal mehr aufblühen und balanciert mühelos zwischen angestaubtem Aufreissercharme (wundervoll: Sein Versuch, einer Hausverwalterin mit seinem Augenaufschlag eine Wohnung zu entlocken) und Wahnsinn (sein Wutausbruch auf einer Massenwohnungsbesichtigung).
„Hoffentlich kiffen die nicht ständig, das habe ich echt hinter mir“ sagt Anne beim Einzug, um dann festzustellen, dass eher das Gegenteil das Problem ist. Ganz im Sinne der Hippiebewegung versuchen die drei Alten daraufhin, Stück für Stück zarte Bande zu knüpfen mit der jungen Generation, werden jedoch von ihren Nachbarn immer wieder mit Sätzen wie „Wir sind keine Gleichgesinnten. Wir sind die Ablösung.“ und „Wenn ihr damals ein bisschen flotter gewesen wärt, dann müssten wir heute nicht über Regelstudienzeiten und Studiengebühren diskutieren.“ konfrontiert. Wahrheiten, die keine sind, vorausgesetzt, man betrachtet das Leben als kreativen und genussreichen Prozess und nicht als ökonomischen Faktor. Während die Alten nahezu panisch an ihrer Freiheit festhalten, geben sich die Jungen leidenschaftlich ihrer Zwanghaftigkeit hin – bis Johannes eines Tages seinen alten neuen Mitbewohnern besorgt erzählt, wie fertig die Nachbarn sind: „Die von oben, die sind im Arsch. Die gehen nicht einkaufen, nicht arbeiten, nicht in die Uni.“ Auf Eddis Einwand, sie selbst hätten das damals doch auch alles nicht getan, wendet Johannes ein: „Dann geh mal hoch, dann siehst Du, wo der Unterschied liegt.“
Das ist vielleicht auch die Kernaussage des Films: Die feinen Unterschiede, die nicht in den Handlungen, sondern in den Haltungen dahinter stecken. An Effizienz mag die neue Generation nicht zu schlagen sein, von Haltung hat sie jedoch keine Ahnung. Der Film mag sich zwar Klischees bedienen, ausgetretenen dramaturgischen Pfaden folgen und streckenweise absehbar sein – aber er ist authentisch, lustig, traurig, ehrlich und vor allem eines: Wahr.
Als „Lost Generation“ bezeichnete die Schriftstellerin Gertrude Stein dereinst die zwar kreativen, aber respektlosen und desillusionierten Intellektuellen ihrer Zeit (allen voran den passionierten Trinker Ernest Hemingway), die, gezeichnet vom Schrecken des ersten Weltkriegs, ihren Platz in der Gesellschaft einfach nicht so richtig wiederfinden wollten. Unabhängig von Kriegen und weltweiten Konflikten ist der Begriff jedoch heute aktueller denn je, in einer Generation, die zwar zahllose Möglichkeiten vor sich liegen, aber dafür scheinbar hundertmal mehr Verpflichtungen im Nacken sitzen hat. Wie es mit dieser Generation mittelfristig weitergeht entscheidet sich vor allem dadurch, wie wir als Gesellschaft künftig mit diesen Fragen umgehen wollen. Wir sind die Neuen mag da keine endgültigen Lösungen haben, ist aber zumindest eines: Ein sehr guter und vor allem äußerst unterhaltsamer Denkanstoss.
Fazit: Wir sind die Neuen ist ein liebenswerter und detailreicher Blick auf den Generationenkonflikt und das Unverständnis zweier Generation auf die Probleme der jeweils anderen – kurzweilig, nachdenklich und durchweg unterhaltsam.
Wir sind die Neuen läuft am Mittwoch, den 2. Juli um 22.00 Uhr im ARRI Kino in München sowie ab dem 17. Juli regulär in den deutschen Kinos.