Das Filmfest München ist vorbei – und mei Dahoam Autor Sebastian Klug ist eine ganze Woche lang beharrlich von Kino zu Kino gepilgert. Dass er dabei echten Filmperlen begegnet, ist unausweichlich. Zwei heimische stellt er heute vor: HEIL von Dietrich Brüggemann und ALKI ALKI von Axel Ranisch.
Deutscher Film ist für ein Drittel aller Filmfans ein schwieriges Thema. Für das zweite Drittel ist es traurigerweise überhaupt kein Thema und das dritte Drittel stellt regelmäßig Besucherrekorde für Fack Ju Göthe, Honig im Kopf und Der Nanny auf. Ohne Zweifel sind all das Filme mit einer gewissen Daseinsberechtigung und wahrscheinlich auch bisweilen höchst unterhaltsam, doch sind sie alles andere als würdige Vertreter einer eigenen Filmsprache. Im Gegenteil: Um einen möglichst großen wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren, wird diese eigene Filmsprache mit aller Kraft vermieden und stattdessen eine zeitlose, entortete und damit auch dekulturierte Welt erschaffen, die höchst gefällig ist, die niemanden stört, niemandem zu nahe tritt – aber auch kein echtes Statement darstellt und keine echte Identifikation zulässt.
Die gute Nachricht: Es muss nicht so sein. Den Beweis tritt eine Garde von jungen deutschen Filmemachern an, die sich ihren Geschichten anarchisch widmet, ohne jedoch auf beste Unterhaltung zu verzichten.
Bestes Beispiel: Heil von Dietrich Brüggemann. Der gefeierte afrodeutsche Autor Sebastian Klein (Jerry Hoffmann) kommt auf Lesereise in dem ostdeutschen Provinzstädtchen Prittwitz an. Die standesgemäße Begrüßung: Ein Schlag auf den Hinterkopf, durchgeführt von den ortsansässigen Neonazis Kalle (Daniel Zillmann) und Johnny (Jacob Matschenz). Sebastian verliert daraufhin sein Gedächtnis und plappert alles nach, was man vorsetzt – was wiederum der rechtspopulistische Politiker Sven Stanislawski (Benno Führmann) ausnützt, um seine eigenen Ziele zu erreichen, Einmarsch in Polen inklusive.
Eher klamaukig als betont geschickt spielt Brüggemann mit seinen Figuren, bei denen eine dümmer ist als die andere, angeführt von einem Bürgermeister, der die Nazis seiner Stadt als „besorgte Bürger“ abtut. Das mindert aber weder den Filmspaß noch die Aussage des Films, denn was im Anschluss passiert, wird immer wilder und verrückter, so dass man aus dem Lachen nicht mehr herauskommen will – es sei denn, man führt sich vor Augen, wie nahe all das an der Realität ist. Allein die Szene, als sich zwei Skinheads als Ökos tarnen und ihre Absolution mit den Worten „Jemand der Hunde liebt, der kann kein ganz böser Mensch sein“ erhalten, spricht Bände und lässt einem das Lachen im Halse stecken bleiben: Schreiben sich doch die Rechtspopulisten von NPD und Co leidenschaftlich gerne Themen wie Tierschutz, Pädophilie-Bekämpfung und ökologischen Landbau auf die Fahnen.
Deutlich ernster geht Axel Ranisch mit seinem Film Alki Alki ans Werk: Tobias Zach (Heiko Pinkowski) und Flasche (Peter Trabner) sind seit ihrer Jugend die besten Freunde, die keinen Tag von einander getrennt waren. Doch Tobias steht in der Blüte seines Lebens, hat Frau, Kinder und mit seinem Kompagnon Thomas (Thorsten Merten) ein Architekturbüro. Trotzdem scheint er nicht erwachsen zu werden: Nacht für Nacht rocken er und Flasche die Clubs der Stadt und feiern mit jungen Menschen, deren Väter sie sein könnten. Als alles überhand nimmt, muss sich Tobias entscheiden: Er muss nicht nur mit dem Trinken aufhören, sondern damit auch seinem besten Freund Lebewohl sagen.
Gerade der Kontrast zwischen den übertrieben bunten Partynächten, bei denen man nie weiß, was Tobias erlebt und was er halluziniert hat, und den trockenen Szenen, in denen er vor den Problemen steht, die sein Alkoholismus verursachen, macht den Reiz des Filmes aus. Die Komik entsteht dabei nie aus dem Klamauk, sondern gründet in den ironischen Momenten. Und wie bei Brüggemann bleibt einem das Lachen bisweilen im Halse stecken, beispielsweise bei einem Interventionsgespräch, in dem Tobias nach einem im Suff verpatzten Geschäft den Vorschlag macht, einfach gar nicht mehr zu trinken – woraufhin sein Kompagnon einwendet, man müsse ja nicht gleich ins andere Extrem schwenken und sich kurz darauf ein Glas Wein gegen den Durst einschenkt. Das Besondere dabei ist, dass Ranisch nie zynisch mit seinen Figuren umgeht, sondern sie immer sensibel und liebend behandelt. Die zwischenmenschliche Wärme, aber auch die Gespaltenheit, die Enttäuschungen und die Hoffnungslosigkeit sind immer präsent und lassen einen beim Zusehen bisweilen fast heulen.
Dass Dietrich Brüggemann und Aron Lehmann, seit Kohlhaas oder Die Verhältnismässigkeit der Mittel selbst als Anarchofilmemacher erfolgreich, in Gastrollen zu sehen sind, zeigt die geistige Verbundenheit der drei Filmemacher. Heil und Alki Alki sind zwei gute Wege, dem ersten Drittel der Filmfans das Thema Deutscher Film wieder näher zu bringen und es für das zweite überhaupt wieder zum Thema zu machen. Und wer weiß, vielleicht zeigt ja sogar das dritte Drittel Interesse an Geschichten, die anders erzählt sind als die Blockbuster. Vielleicht mag man ja auch beide: Zeki Müller (Elias M’Barek in Fack ju göthe) und Tobias Zach.