Kunst & Handwerk

See la vie: Traditionswerft in dritter Generation

Strahlender Sonnenschein. 20 Grad bei Windstärke vier. Perfektes Segelwetter! Gerne wäre Ernst Simmerding jetzt auf dem Wasser. Stattdessen begutachtet er die Segeljolle, deren Deck in seiner Werft gerade renoviert wird. Aufgebockt steht sie da, neben der Korsikajolle mit dem verfaulten Boden. Bald werden beide Boote wieder auf dem Wasser wippen, freut sich der Bootsbauer. Trotz des sonnigen Wetters ist Ernst Simmerding seit anderthalb Stunden drinnen. In der Werkstatt

Es riecht nach Öl, Sägespänen und Lack. Taue liegen wie träge Schlangen in den aufgebockten Booten. Schichten aus Farbtropfen überziehen den Boden. Sie künden von mehr als hundert Jahren Schiffsbau. Kanister mit Farbe, Böcke mit Stemmeisen und Akkuschrauber stehen bereit. Ernst Simmerding prüft die Schraubzwingen am Furnier eines Flachboots. Er begutachtet den Glanz des Retrostils, der durch die kundigen Hände in seiner Werft wieder entsteht. Gemeinsam mit seinen fünf Mitarbeitern.

Ein Ruderboot, Baujahr 1953, steht aufgebockt daneben. Mitgenommen sieht es aus, bleich, die Farbe abgeblättert. Das ausgemergelte, mürbe Holz verrät auch dem unkundigen Auge, dass dem Ruderboot der Tod ins Gesicht geschrieben steht. Oder dass hier für „lebensrettende Maßnahmen“ enorm viel Arbeit hineingesteckt werden muss. Sechzig Stunden mindestens. Ernst Simmerding lehnt sich über den Bootsrumpf. Mit seinen Fingerkuppen tastet er so vorsichtig den Bauch des Bootes ab, als wären dort kostbare Perlen zu finden. Dann nickt er optimistisch. Alte Boote zu renovieren, davon versteht er etwas. „Da riecht man einen Hauch Moder“, lacht er, dass sein Pferdeschwanz wippt. Das Restaurieren von alten Schiffstypen aller Art ist schließlich Schwerpunkt der Werft. Simmerdings Lieblingsboot ist denn auch ein alter Schärenkreuzer, Baujahr 1896, namens Gerd. Der Bootsbauer schmunzelt: „Ich hab ihn vor Jahren aus Schweden geholt. Gerd ist übrigens ein schwedischer Frauenname.“

Für Oldtimer schlägt sein Herz

Die Gerd ist unter seinen Händen wahrlich zu neuer Schönheit erblüht. Dafür musste allerdings einiges gemacht werden. Simmerding zählt auf: „Einsetzen von neuen Eisenspanten, dann das Unterwasserschiff ausweißeln, ein neues Cockpit bauen, die alte Einrichtung samt Zentralheizung herausreißen, den Benzinmotor aus- und einen Dieselmotor einbauen. Zu den 2000 Arbeitsstunden kamen noch einmal 500 Stunden, nur für Erhaltungsarbeiten.“ Doch man sieht es dem Bootsbauer beim Blick auf seine Gerd sofort an: Das Ergebnis vertreibt alle Gedanken an die Mühe. Simmerding seufzt wohlig: „Für Oldtimer schlägt mein Herz von Kindesbeinen an.“

Mit denen ist er am liebsten im Novembernebel auf dem See. Von September bis November sei der Wind am besten und es gäbe stabile Ostwindlagen. Da mache ihm das Segeln am meisten Spaß. Es sei einfach die stimmungsvollste Zeit: „Keine Urlauber, keine Freizeitmenschen, keine Segler, die die Stimmung stören.“ Vor allem kein Trubel.

Denn über Mangel an öffentlicher Aufmerksamkeit oder zu wenig Trubel um seine Person kann sich Ernst Simmerding gewiss nicht beklagen. Das Fernsehen war schon etliche Male hier. Auch einige Reportagen in Zeitungen und Zeitschriften über seine Werft wurden bereits veröffentlicht. Das liege einzig an seinen „Schmuckstücken, die hier vom Stapel gelassen werden“, meint der Meister lakonisch. Mit dieser Einstellung hat er fürwahr die Leidenschaft und das Familien-Gen der Simmerdings geerbt.

Bootsbau in dritter Generation

Vor einem Vierteljahrhundert übernahm Ernst Simmerding, seinerzeit Forstwissenschaftsstudent, den Traditionsbetrieb von seinem Vater. In dritter Generation. Sich nach dem Studium in einem Büro mit Akten zum Thema Holz zu beschäftigen, darauf hatte der junge Ernst keine Lust. Die Arbeit mit dem lebendigen Material Holz, die der Schiffsbau bietet, kam seinem Naturell viel näher.

Die Werft wurde 1920 in Starnberg von Simmerdings Großvater gegründet. Nach einem Brand verlegte man den Betrieb ins bisherige Winterlager an das Ostufer des Starnberger Sees, nach Leoni. 75 Angestellte hatte der Großvater seinerzeit. Überhaupt waren es goldene Zeiten für die alteingesessene Starnberger Familie. Die Werft baute Holzyachten und Motorboote und betrieb sogar eine private Linienschifffahrt auf dem Starnberger See. Ernst Simmerding sah die alten Verträge und Dampfer-Tickets – heute historische Dokumente – sogar im Staatsarchiv.

Aber es gab auch Einbrüche. Veränderungen im Bootsbau haben den Familienbetrieb immer wieder herausgefordert. In den 1960er-Jahren baute Simmerdings Vater noch Motorboote aus Mahagoni und Jollenkreuzer. In den 70er-Jahren kam dann die Ära der Kunststoffboote aus der Fabrik, die billiger waren als die handgearbeiteten Meisterwerke. Und weil die Plastikboote als unverwüstlich galten, interessierten sich nur noch wenige Käufer für die klassischen Holzboote. Das war nicht leicht für die Traditionswerft.

Schiffsbau ist Herausforderung

Gewiss gehört es zur Persönlichkeit des Bootsbauers, dass er seine Authentizität trotz der Zwänge des Brotberufs bewahrte. Eine Harmonie der Form, die das Machen meditativ auflädt und den Vorgang des Bauens oder Restaurierens in den Vordergrund rückt: „Ungeduld wird sofort bestraft.“ Seine „Handschrift“ blieb über all die Jahre, über all das Auf und Ab der Trends erhalten. „Den Kunden sage ich immer, dass es nicht darauf ankommt, schnell fertig zu werden“, verdeutlicht Simmerding seine Philosophie. Hektik passe weder zur Branche noch zu seinem Wesen. Schönheit bezeichnet er als „etwas, das stimmig fürs Objekt ist“. Krumme Stämme von Bäumen beispielsweise, die auf unebenen Böden oder in Windlagen wachsen, sind im Schiffsbau als Ausgangsmaterial gefragt. Ernst Simmerding erklärt: Was im Möbelbau als minderwertig gilt, „richtig schief gewachsene Bäume“, ist im Bootsbau ideal. Es gäbe schließlich kaum einen rechten Winkel auf einem Boot. Geschmeidig gleiten Ernst Simmerdings Hände mit dem Hobel um Ecken und Rundungen. In den Werkstätten klappert und rattert es vor sich hin. Schreinerin Hannah Galloth werkelt schon tagelang an den Fugen eines Mahagoni-Decks. Simmerdings Angestellte arbeitet mit einem Stemmeisen, das fast in eine Uhrmacherwerkstatt passt, so filigran wirkt es. Dann kehrt sie mit dem Handbesen die Hobelspäne weg, eine Holzlocke bleibt an Ernst Simmerdings Wollpullover hängen. Die beiden lachen.

Wie jeden Tag fing der Bootsbauer heute früh Fische. Die meisten Menschen, die hier am Ostufer des Sees ihre Freizeit verbringen, verbinden seinen Namen mit der Traditionswerft in Leoni. Doch Ernst Simmerding ist auch Berufsfischer. „Mein Hobby“, amüsiert er sich. Neben der Werft, sein „täglicher Beifang sozusagen“. Das lukrativste Standbein der Werft, neben Neubau und Renovierung von Booten und der Berufsfischerei, ist die Vermietung von Liegeplätzen und das „Einwintern“ der Boote, denn vom 1. November bis zum 31. März ist ein großer Teil des Sees Vogelschutzgebiet und darf nicht befahren werden.

Postkartenidylle

Doch die Schonzeit ist nun längst vorbei, und die Frühlingssonne wärmt die Holzplanken, die vor den Werkstätten lagern. Narzissen präsentieren sich in leuchtenden Farben. Feierlich, als ahnten sie den bevorstehenden Festakt. Denn heute wird in der Werft ein Glanzstück zu Wasser gelassen. Ein Elektromotorboot mit Kunststoffrumpf und edler Mahagoniholz-Ausstattung. Sonnenstrahlen leuchten wie Suchscheinwerfer auf die stolzen Segelboote, die hier in Simmerdings Werft ihren Liegeplatz haben. Wie ein Bilderrahmen aus Segeln in Sommerweiß.

Ernst Simmerding hat keine Zeit, auf die Postkartenidylle zu achten. Er spitzt die Ohren, damit das Boot fachgerecht zu Wasser gelassen wird. Je näher der Traktor mit dem Trailer ans Ufer fährt, um das Boot dem See zu übergeben, desto aufgeregter scheinen die Wellen dem Rumpf des Bootes entgegenzuwirbeln. Die Sonne legt an Strahlkraft zu, und sogar das Vogelgezwitscher klingt auf einmal aufgeregter.

Der Bootsbauer fährt langsam mit seinen Fingern über das glänzende Deck des Bootes, einem nostalgischen Neubau der Werft. Über ein Jahr dauerte es, das Meisterwerk zu bauen. Seine buschigen Augenbrauen spiegeln sich im blank polierten Holz. Unter dem Namen „Simmerding Classicline“ baut die Werft solche Elektroboote in Kleinserien. Ernst Simmerding geht in die Werkstatt und bereitet die Übergabe des Elektrobootes vor. Er streicht sich eine silberne Strähne hinters Ohr, setzt seine Brille auf und schiebt die Kabelbinder zur Seite. Handbuch, Taue und Vertrag liegen für die Käufer bereit. Über Simmerdings Computer schaut der junge König Ludwig interessiert aus seinem Bilderrahmen herab.

Der See ist magisch

Als die Stammkundschaft eintritt, ein Ehepaar, sind sie hingerissen von dem neuen Boot. Er von der Fahrdynamik, der Wendigkeit und dem hohen Geschwindigkeitspotenzial. Sie vom Sonnenschirm, der Badeleiter und der iPod Docking Station. Schön, dass die Saison jetzt wieder begonnen hat. Die Drei stimmen überein: Höchste Zeit, dass alle wieder aufs Wasser kommen. Bedauernd hebt Ernst Simmerding die Augenbrauen. Drei bis vier Oldtimer-Regatten fuhr er jedes Jahr. Leider vorbei. Er wird auch nicht jünger, murmelt er, auf den See blickend. Seufzt. Egal. Ob am Ufer oder auf dem Boot. Der Starnberger See ist immer magisch, findet er. Und ein Lächeln zaubert viele kleine Fältchen um seine Augen.


Sechs Fragen an Ernst Simmerding

Was ist Ihr Lieblingsboot?

Der Schärenkreuzer dort drüben, Baujahr 1896. Gerd. Ich hab ihn vor Jahren aus Schweden geholt. Das G in Gerd wird übrigens als J gesprochen. Gerd ist ein schwedischer Frauenname.

Die Gerd ist unter Ihren Händen wahrlich zu neuer Schönheit erblüht! Was musste denn da renoviert werden?

Oje! Einsetzen von neuen Eisenspanten, dann das Unterwasserschiff ausweißeln, ein neues Cockpit bauen, die alte Einrichtung samt Zentralheizung herausreißen, den Benzinmotor aus- und einen Dieselmotor einbauen. Sie wollen das lieber nicht alles wissen.

So schlimm?

Zu den 2.000 Arbeitsstunden kamen noch einmal 500 Stunden, nur für Erhaltungsarbeiten.

Aber das Ergebnis vertreibt die Gedanken an die Mühe?

Und wie. Für die nostalgischen Oldtimer schlägt halt mein Herz von Kindesbeinen an.

Ihre schönste Zeit am See?

Im Novembernebel. Keine Urlauber, keine Freizeitmenschen, keine Segler, die die Stimmung stören. Im Ernst: Von September bis November ist der Wind am besten, und wir haben hier stabile Ostwindlagen. Da macht das Segeln richtig Spaß.

Sie können offenbar auch Landratten Appetit aufs Segeln machen?

Schauen Sie sich einfach um. Wer könnte da widerstehen?

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