Leben & Geniessen

Von Geistern und Wahrheitselixieren: Hochprozentiges im Oberland

Dem Schnapsbrennen haftet etwas Mythisches an. Mit Hilfe einer goldglänzenden, kupferschimmernden Apparatur und brodelnder Hitze wird der Geist der Frucht gewonnen. Hochprozentige Klarheit läuft in bauchige Glaskugeln und duftet nach der Essenz der Frucht.

Stolze 80 Volumenprozent hat so ein Rohbrand, auf den der Feinbrand folgt. Der Brennmeister weiß genau, wann nach dem „Vorlauf“ das edle Herzstück des Brandes folgt, denn nur dieser Teil der Destillate wird verwendet. Aus etwa hundert Kilo Frucht entstehen so drei Liter Edelbrand. Die handverlesenen Früchte wurden vorher mit Reinzuchthefen vergoren, diese Maische wird anschließend in Kupferkesseln gebrannt und schließlich bis zu drei Jahren gelagert – in Holzfässern aus Kastanie oder Kirsche, in alten Steingutbehältern oder gebrauchten Wein- oder Whiskyfässern. Nach der Reifung wird der Brand mit kristallklarem Quellwasser auf Trinkstärke gebracht. Erst dann dürfen Genießer den unvergleichlichen Duft schnuppern und sich an dem edlen Getränk erfreuen.

Hier ist Gold, was glänzt. In den vielleicht schönsten Räumen am Tegernsee befindet sich die Wirkungsstätte von Andreas Hau, Brennmeister der Schlossbrennerei Tegernsee. Das Gebäude gehört keinem Geringeren als Herzog Max Emanuel aus dem Hause Wittelsbach, der sich vor wenigen Jahren entschloss, die alten Gemäuer behutsam zu renovieren.

In uralten Gewölben des ehemaligen Klosters Tegernsee, deren Fundamente auf das Jahr 746 zurückgehen, befand sich die Mälzerei der Tegernseer Brauerei. Daraus sollte nun ein Restaurant werden, mit solider Küche und einem schönen Garten. Mit Karl Hitzelsberger, Ingenieur aus Tegernsee, fand er den richtigen Mann. Gemeinsam mit örtlichen Handwerkern wurde umgebaut, der Parkplatz vor dem Haus wich einem herrlichen Gastgarten mit Blick auf See und Berge. Drinnen wurde jedes Stück sorgsam ausgewählt. Das Mobiliar stammt aus einer Tegernseer Schreinerei, extra für die Schlossbrennerei angefertigt; heimische Hölzer wie die fast vergessene Ulme wurden dafür verwendet. Die Wände gestaltete Peter Wimmer aus Schliersee. Seit Mai 2013 kann man nun frisch zubereitete bayrische Köstlichkeiten genießen. Der Fisch stammt aus dem See, das Fleisch aus dem Umland, und die Kuchen werden von der Großmutter des Wirts, Oma Stocker, gebacken.

Kernstück und Namensgeber des Restaurants aber ist die glänzende Apparatur in der Mitte des Raumes, die Brennblase, der Andreas Hau die Edelbrände entlockt. Die Gäste des Restaurants können ihm bei der Arbeit über die Schulter schauen. Edelbrände sind zum Genießen da. Das Wort „Schnaps“ hört der Edelbrand-Sommelier ohnehin ungern. Das klingt nach Fusel, meint er, der zu Hause in Holzkirchen ein 50-Liter-Brennrecht hat und die Produkte unter dem Namen Hau’s Brennerei anbietet. Auch hier setzt er auf Qualität. Viel Handarbeit ist auch dabei, erfahren wir, als wir einen Walnussgeist probieren dürfen. Die Nüsse hat er selber geknackt, in Alkohol mazeriert, aus dem dann der Geist entsteht. Brand wird ein Destillat genannt, das Fruchtmaische als Grundlage hat.

Die Früchte der Schlossbrennerei stammen aus der Wachau – aus ehemaligen Besitztümern des Klosters Tegernsee. Kontakte, die trotz der Säkularisation im Jahre 1803 bis heute aufrechterhalten wurden. Doch gute, reife Früchte gibt es nur im Sommer, wenn aromatische Himbeeren für den Himbeergeist gepflückt werden können, oder im Herbst, wenn Zwetschgen, Marillen oder Williamsbirnen reifen. Eigentlich schade, meinten Hau und Hitzelsberger, und überlegten, welcher Rohstoff ganzjährig verfügbar wäre. Die Lösung fanden sie gleich in der Nachbarschaft, die Idee eines Bierbrands entstand. Man darf sich aber nicht vorstellen, es würde einfach jenes Bier genommen, das als Dunkles oder Helles in den Ausschank gelangt.

Der Brennmeister tüftelte gemeinsam mit dem Braumeister der Schlossbrauerei Tegernsee herum. Der wiederum braut nun ein Spezialbier aus dunklem Roggenmalz, das in der Brennblase in Bierbrand mit stolzen 43 Volumenprozent verwandelt wird. Nichts für einen Kindergeburtstag, meint Andreas Hau, aber mit unvergleichlichem Aroma. Wir fragen nach der Rezeptur des Biers. „Das“, erklärt Hau lächelnd, „ist unser Geheimnis“, aber wir entlocken ihm, dass es intensiver, malziger sei.

Die Brände der Schlossbrennerei kann man derzeit nur im Restaurant genießen, doch in den Verkauf gelangen sie noch in diesem Jahr. Bis dahin lagern sie in den Gewölben. Das herzogliche Haus denkt über die Gestaltung der Flaschen und Etiketten nach, und die strengen Herren vom Zoll überprüfen derweil die Anlage und die Verbesserungsvorschläge des Brennmeisters. Die verplombten Glasbehälter, in denen das frisch gebrannte Destillat aufbewahrt wird, bis die genaue Menge vom Zoll abgenommen wurde, sollten etwas praktischer werden. Brände sind hoch besteuert, deshalb muss jede Veränderung der Anlage vom Zoll abgenommen werden. Doch dass der Verschluss der Brennblase vergoldet wurde, das durfte der Herzog alleine bestimmen.

Vom Märchen zum Krimi und vom Likör zum Brand

So könnte man die Geschichte des Hauses Hirschkuss in Gaißach bei Bad Tölz beschreiben. Eine Erfolgsgeschichte. Die Lenggrieserin Petra Waldherr-Merk hilft der Großtante Lena beim Herstellen ihres traditionellen Kräuterlikörs, denn die alte Dame ist schon über 80. In ihrem Geschäft für Accessoires bietet die Einzelhandelskauffrau den Likör einigen Kunden an. Die sind so begeistert, dass sie ihn gerne kaufen wollen. Petra und Tante Lena setzen mehr Likör an. Er verkauft sich in Windeseile, die Produktion wird vergrößert, und man wagt den Schritt zur Firmengründung: 2005 wurde der „Hirschkuss“ geboren.

Der Kräuterlikör, bestehend aus fast 40 verschiedenen Kräutern und Gewürzen, blieb nicht lange allein. Gut 40 Rezepte hat Petra Waldherr-Merk von der Großtante erhalten, fein säuberlich in altdeutscher Handschrift in ein kleines Buch geschrieben. Die besten davon werden herausgesucht. Heimische Vogelbeeren, Pflaumen und Birnen werden zu weiteren Likörspezialitäten unter dem Label der küssenden Hirsche verarbeitet. Die Hirsche auf dem Etikett störten eine viel größere, alteingesessene Firma. Doch der Likör-David aus dem Oberland gewann gegen den Goliath aus Wolfenbüttel.

Das Märchen konnte weiter seinen Lauf nehmen. 2010 wurde in den alten Räumen alles zu klein, der Erfolg so groß, dass ein millionenschwerer Neubau entstand. Ganz schön mutig für ein noch so junges Unternehmen. Aber erneut geht die Geschichte gut weiter, denn inzwischen kümmert sich Petras Sohn Felix Merk um das Marketing. Außendienstmitarbeiter muss er allerdings nicht betreuen, die gibt es nicht, denn der Hirschkuss verkauft sich auch so bis nach Hamburg und in die USA. Er wird dem Familienunternehmen förmlich aus der Hand gerissen, doch kein Discounter erhält ihn, sondern nur Läden, die zur Genuss-Manufaktur in Gaißach passen. Zwar werden inzwischen stolze 300.000 Liter im Jahr produziert, aber mehr sollen es nicht werden.

23 Mitarbeiter hat Hirschkuss nun, unter ihnen der Lebensgefährte der Firmengründerin, Burckhard Winkel. Er hat seinen Beruf als Schlosser an den Nagel gehängt und sich zum Brennmeister ausbilden lassen. Mit großer Leidenschaft und einem sicheren Gespür für Aromen brennt er einen Himbeergeist, einen Williams-Edelbrand und – nach bayrischer Biertradition – einen Bockbrand, der ganz wunderbar die Soße zum Hirschschnitzel abrundet. Ein Hirschkuss für die Soße sozusagen.

Wenn auch die Liköre das Kerngeschäft bleiben, die Tradition hochgehalten wird und nach wie vor alle Flaschen von Hand abgefüllt und etikettiert werden – die küssenden Hirsche werden bekannter und berühmter. In Jörg Steinleitners Krimi „Hirschkuss“ wird das Getränk zum „Wahrheitsserum“ der bis dahin noch nicht Geständigen. Eine attraktive Bankerin aus München verschwindet spurlos im Wald, die Kommissarin begegnet auf ihren Recherchen Waldarbeitern, die nach der Brotzeit am Vormittag ein gutes Stamperl Hirschkuss mit dem Trinkspruch „Aufi, obi, rum ums Eck“ kippen. Unsere Frage an den aus dem Allgäu stammenden, nun aber im Oberland ansässigen Autor, wie er denn auf den „Hirschkuss“ gekommen sei, beantwortet er so:

„Ich war ja im vorletzten Frühjahr mit ein paar Holzfällern im Gebirgswald oberhalb von Garmisch unterwegs, um Eindrücke für meinen neuen Roman zu sammeln. Ich hatte die Holzfäller zur Wilderei befragt und über mögliche Mordmethoden, die ihnen einfallen würden. Und da haben sie mir bei der Brotzeit erklärt, wie sie jemanden im Wald verschwinden lassen würden, wenn es denn nötig wäre. Quasi als Schweigegelübde musste ich mit denen dann schon am Vormittag den Likör trinken, den sie immer am Ende der Brotzeit trinken. Das war der Hirschkuss. Als auch der Piper Verlag den Titel „Hirschkuss“ gut fand, habe ich mit Petra Waldherr-Merk von der Likörfirma Kontakt aufgenommen und sie als eine ziemlich beeindruckende Frau kennengelernt. Die Geschichte des Hirschkuss-Likörs ist ja schon sehr ungewöhnlich. Insgesamt war das natürlich für mich ein Glücksfall.“

Wir meinen, es war ein Glücksfall für alle Beteiligten, den Autor, die Leserschaft und für die Firma freilich auch, denn einen so charmant gewidmeten Krimi kann nun nicht jede Firma vorweisen. Tante Lena jedenfalls, glauben und hoffen wir, wäre zufrieden mit Nichte Petra, deren Sohn Felix und dem Brennmeister Burckhard, dem sicher noch einiges einfallen wird. Die Geschichte geht weiter …

Erfolgreiches Zusammenspiel von Tradition und Moderne

Dritte Station unserer Reise durchs Oberland auf der Suche nach edlen Geistern ist die Destillerie Lantenhammer, die erst vor Kurzem in ihren interessanten Neubau im Haushamer Gewerbegebiet umgezogen ist. Lantenhammer ist Tradition und unglaublich quirlige Lebendigkeit in einem – das ist, neben all den feinen Produkten, den verführerischen Düften, der spannenden Präsentation der „Erlebnisdestillerie“ und der fröhlich-offenen Freundlichkeit der Mitarbeitenden das, was uns immer wieder einfällt. Alle Voraussetzungen für solides (Genuss-)Handwerk sind hier gegeben, Höhenflüge erreicht man durch das Fördern der Kreativität der Destillateure. „Unsere Jungen dürfen sich austoben. Die bestellen, was sie wollen, und brennen, was ihnen in den Sinn kommt“, meint Tobias Maier, der 37-jährige Destillateurmeister. Lantenhammer bildet alle Lehrlinge selber aus und, so Maier, übernimmt sie auch alle. Dass man bei Lantenhammer wie in einer großen Familie zusammenarbeitet, ist nicht nur werbewirksame Behauptung, man spürt, dass das auch gelebt wird.

Und dadurch entstehen eine außergewöhnliche Qualität und eine herausragende Sortenvielfalt. Allein in den letzten vier Jahren sind 33 neue Sorten produziert worden. Maier lacht: „Jetzt reicht es langsam.“ Oder? „Wenn einer eine gute Idee hat, dann setzen wir auch die noch um.“

Auch bei Lantenhammer beginnt die Qualität bei der sorgsamen Auswahl der Früchte. Und weil Herr Maier und sein Einkaufsleiter gerne Motorrad fahren, brausen sie schon mal nach Südtirol und besuchen die Obstbauern direkt. Rosenmarillenbrand gibt es dann zum Beispiel oder rote Williamsbirne, die würziger schmeckt als ihre gelbe Schwester. Ist ein schlechtes Obstjahr, gibt es eben keinen Marillen- oder Zwetschgenbrand. Da ist man konsequent. Selbstverständlich wird keiner der Edelbrände gestreckt oder durch irgendwelche Verfahren im Geschmack verstärkt; nur pure Natur befindet sich in den Gärtanks für die Maische, die dann schonend und professionell gebrannt wird.

Wer zuschauen will, kann das jederzeit tun. Nur eine Glasscheibe trennt den Verkaufsraum von der Wirkungsstätte von Tobias Maier und seinem jungen Team. Auch die Holzfässer, Steingutbehälter und Glaskolben, in denen die edlen Essenzen dann reifen, sieht man. Steingut atmet, deshalb werden Gefäße aus diesem Material nur noch selten verwendet, denn im Lauf der Zeit verliert der Brand an Volumen, dafür konzentrieren sich innen die Aromen in besonderer Weise. Raritäten werden schon mal in Fässern aus Kastanien-, Akazien- oder Maulbeerholz gelagert, drei Jahre oder länger.

Wie erfolgreich das Zusammenspiel von Tradition und einem aufgeschlossenen und augenzwinkernden Umgang mit der Moderne sein kann, führt Lantenhammer immer wieder vor. Es ist noch nicht lange her, dass in der kleinen Destillerie, die sich damals noch im Zentrum von Schliersee befand, jemand auf die Idee kam, den ersten bayrischen Whisky zu brennen. Mit „Slyrs“ entstand 1999 ein Kultgetränk, das Furore machte. Tobias Maier sinniert: „Wenn ich das damals gewusst hätte … Ich hätte einige Flaschen der ersten Jahrgänge zurückgelegt. Inzwischen mache ich das. Das Häuschen, das meine Töchter einmal erben, wird nicht viel wert sein, im Vergleich zu den Schätzen im Keller.“

Selbstredend werden auch Fruchtbrände in gebrauchten Slyrs-Fässern ausgebaut. Die oben erwähnte Kreativität des Teams hob vor noch nicht allzu langer Zeit „Bavarka“ aus der Taufe – aus hiesigen Kartoffeln gebrannter „Bavarian Vodka“. Und der wiederum ist die Basis eines ganz neuen Produkts aus Maiers Werkstätte, einem kräftigen, intensiv nach Wacholder duftenden bayrischen Gin. Und der wiederum wird der Vater eines neuen Getränks. Da war einer der jungen Lantenhammer-Destillateure beim Baden, als Abschluss gab‘s Aperol-Spritz, das Modegetränk der Italienfans. Da muss man doch was Eigenes entwickeln, überlegte der junge Destillateur. So entstand das allerneueste Baby aus Hausham, der „Gin-Chilla“. „Der Name war frei“, lacht Maier, „und das passt doch für ein Haus zwischen zwei Seen, wo man so schön chillen kann.“

Über den Autor

Heike Hoffmann

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