Kunst & Handwerk

Alte Muster neu entdeckt: Die Handdruckerei Gistl in Gmund

Martina Gistl hat in ihrem Haus am Tegernsee ein altes Handwerk neu belebt: die Kunst der Handdruckerei. Sie fertigt bildschöne Stoffe, die sie manchmal selbst zum Staunen bringen.

Werken und wohnen unter einem Dach. Für Martina Gistl ist dieser Traum seit drei Jahren Realität. Im Frühjahr 2011 kaufte sie eine alte Stoffdruckerei mit wunderschönen alten Sieben, einem Riesentisch und allem, was man sonst noch so zum Siebdrucken braucht. Heute betreibt sie in ihrem Bauernhaus im bayerischen Gmund eine der letzten Handdruckereien Deutschlands. Ihr Erfolgsrezept: Altes und Neues zu vereinen.

Machte ihr Hobby zum Beruf

Schon seit jeher hatte Martina Gistl ein besonderes Geschick im Umgang mit Stoffen. Ihre Leidenschaft jedoch auch beruflich zu nutzen, daran wagte sie anfangs gar nicht zu denken. Als jedoch eines Tages eine alte Handdruckerei in Miesbach zum Verkauf stand, zögerte sie keinen Augenblick. In der Textilmanufaktur ließen bereits ihre Eltern Vorhänge fertigen. Mit der Schließung des Betriebs wäre das alte Handwerk in der Region ausgestorben. Eine unmögliche Vorstellung für Martina Gistl. Damit wären die ganzen Schätze, die wundervollen alten Muster verloren gegangen. Entschlossen und getan. Drei Wochen später war dann schon alles unter Dach und Fach. Und Martina Gistl stolze Inhaberin der ehrwürdigen Stoffdruck-Manufaktur. Ein Schnellschuss sozusagen – und erst mal eine große Herausforderung für die gelernte Zahnarzthelferin samt Familie.

So war es anfangs ganz schön knifflig, Raum für die ganzen Utensilien zu schaffen, die man für das Kunsthandwerk benötigt. Allein der Drucktisch nimmt den Platz von zwei Pkws ein: 6,50 Meter lang und 1,50 Meter breit. Zusätzlich wurde eine Trockenmansarde für die frisch bedruckten Stoffe eingerichtet – eine Art überdimensionaler Heißluftföhn, um die Farben auf den Stoffen zu fixieren. Den Platz schuf Martinas Mann Quirin in der alten Tenne des Hauses, in dem die Familie bereits in vierter Generation lebt. In der geräumigen Werkstatt samt Ausstellungsraum hängen und stapeln sich heute kunstvoll bedruckte Stoffe. Dazu Kissen, Tischdecken und pittoreske Vorhänge. Auch moderne Trachtentücher aus Loden zum Dirndlgewand findet man in Martinas Schatzkammer.

Gedruckt wird stets im Team

Martina Gistl und ihre Freundin Monika sind ein eingespieltes Team und drucken stets zu zweit. Allein wäre die Arbeit gar nicht machbar. Das filigrane Handwerk mussten die beiden Frauen jedoch erst von Grund auf lernen. Mit dem Entschluss zur Übernahme der Druckerei suchte Martina eine Partnerin. In ihrem Handarbeitskreis fand die dreifache Mutter begeisterte Hilfe. Zusammen tasteten sich die Handwerkerinnen an die neue Welt der Druckkunst heran. Drei Monate lang wurde ausprobiert und zunächst nichts verkauft. Alte Leintücher, alte Bettlaken, jedes Stück Stoff, das nicht mehr gebraucht wurde, diente den Druckerinnen als Übungsauflage. Eine Art Probezeit für Martina Gistl und ihre Kollegin. Sie experimentierten mit Farben und Mustern, suchten nach Stoffen, auf denen die modernen Farben am besten zur Geltung kommen – hochwertige und natürlich schöne Materialien für eine wertige Handwerkskunst. Dann machten sie sich erst richtig ans Werk. Immer montags und dienstags wird seither gedruckt, was das Zeug hält. Jede bringt dabei ihre ganz persönliche Note mit ein.

Moderne Farben und kunstvolle Motive

Monika zieht ein großes Sieb aus dem Regal. „Vogerl“ steht auf dem Alurahmen. Der ist mit einem beschichteten Kunststoffgewebe bespannt, in dem sich das Muster für den Druck befindet. Nur an den Stellen, an denen die feine Beschichtung fehlt, dringt die Farbe für adrette Karomuster, springende Hirsche, Blütenranken oder andere filigrane Muster durch das Sieb auf das zu bedruckende Material. In unserem Fall sind Vögel das Zentralmotiv. Zusammen fixieren die beiden Frauen den zu bedruckenden Stoff mit Nadeln auf dem ellenlangen Tisch: Er muss absolut gerade liegen und darf sich später nicht verziehen. Dann legen die Handwerkerinnen das Sieb auf den Stoff. Mit einem sogenannten „Rakel“ wird die Farbe gleichmäßig über die Stoffbahn gezogen. Ein Mal, zwei Mal, manchmal auch öfter. Je nachdem, um was für ein Material es sich handelt und wie stark der Stoff die Farbe aufnimmt. Besondere Farbtöne werden in der Manufaktur frisch angerührt. Dabei gleicht kaum eine Mischung der anderen. Routiniert setzen die beiden Frauen das Sieb auf die nächste zu bedruckende Stelle, sobald eine Bahn fertig ist. Den bedruckten Stoff legen Martina und Monika über ein Trockengestell. Dort ruht er zunächst 24 Stunden, bis dann Stoff samt Muster bei ca. 140 Grad in der Trockenmansarde fixiert und waschbar gemacht werden.

Kunstwerke auf Seide und Leinen

Dass Martina Gistl wahre Kunstwerke auf ihre Stoffe zaubert, hat sich mittlerweile herumgesprochen: Aus München, Tirol und Arlberg hat sie schon Aufträge bekommen. Einige Kunden lassen sich sogar eigene Siebe anfertigen, weil ihnen ein bestimmtes Muster vorschwebt. Doch auch so ist die Auswahl mit 70 Sieben groß genug. Außerdem gibt es kaum ein Material, das in der Manufaktur von Martina Gistl nicht bedruckt werden kann: Baumwolle, Leinen, Samt, Loden, Filz, Leder oder Merinowolle. Selbst Papier hat die Gmundnerin schon bedruckt. Ihr Lieblingsstoff ist jedoch reine Seide. Weil sie so edel und besonders ist. Manche Kundinnen bringen auch alte Schätze zum Bedrucken mit: in alten Bauernschränken gefundenes Leinen oder alte, seidene Schaltücher. Je nach Farbe zahlt man hier für einen Druck um die 35 Euro pro Meter. Und bekommt dafür ein authentisches und einzigartiges Produkt, das einem mit etwas Glück ein Leben lang Freude bereitet. Auf Wunsch kann man sich auch bei Martinas Schneiderin passgenaue Kleider, Vorhänge oder Kissenbezüge aus seinem Lieblingsstoff anfertigen lassen.

Über den Autor

Simone Rosner

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