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Filmtipp vom Filmfest München 2016: Die letzte Sau

FFM Die letzte Sau

Das Filmfest München ist in vollem Gange – und mei Dahoam Autor Sebastian Klug pilgert mal wieder eine ganze Woche lang beharrlich von Kino zu Kino. Nach Axel Ranisch mit ALKI ALKI und Dietrich Brüggemann mit HEIL im letzten Jahr kommt in diesem Filmtipp der Dritte im Bunde zum Zug: Aron Lehmann mit DIE LETZTE SAU.

Der Huber (GOLO EULER) steht vor dem Nichts. Stoisch hat der schwäbische Schweinebauer gegen die großen Mastbetriebe angekämpft, doch diesen Kampf hat er verloren: Sein bester Freund und Metzger (HEINZ-JOSEF BRAUN) gibt sich die Kugel, seine große Liebe Birgit (ROSALIE THOMASS) verschwindet nach Ostdeutschland (ausgerechnet, um dort einen Mastbetrieb für ihren expansionswütigen Vater zu leiten) und zu allem Überfluss zerstört auch noch ein Meteorit Hubers Hof und fast seinen gesamten Viehbestand. Der Huber tut das in seiner Vorstellungswelt einzig Mögliche: Er zieht das alte Partisanengewand seines Großvaters an, packt seine Flinte und seine letzte Sau in den Beiwagen seiner alten BMW und fährt los – ohne Ziel und ohne eine Idee, wie es weitergehen soll. Schon bald trifft er Menschen, die eine ähnliche Geschichte wie er hinter sich haben, und der Huber erkennt: „So gohts ned weida“.

Aron Lehmann ist neben Axel Ranisch und Dietrich Brüggemann einer der drei Hauptvertreter einer neuen Art, deutsche Filme zu machen, die sich nicht an den kommerziellen Vorstellungen eines Massenpublikums orientieren, sondern an dem Anspruch, eine eigene Filmsprache zu entwickeln und zu etablieren. Während Ranischs Spezialgebiet die Improvisationen und Brüggemanns die Überzeichnung sind, ist es im Grunde bereits jetzt, nach drei Filmen, bei Lehmann ganz klar die Liebe zum kleinen Mann und seiner Unterdrückung durch Sachzwänge. Bereits sein Debüt Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel war eine leidenschaftliche Ode an die finanzielle Eingeschränktheit, und auch seine Verfilmung des überraschend kurzweiligen Romans Highway to Hellas von Moses Wolff und Arnd Schimkat ließ zwei vollkommen unterschiedliche Männer vor dem Hintergrund der griechischen Finanzkrise aneinander scheitern und damit wachsen.

Mit Die letzte Sau gelingt Lehmann ein neuer Spagat: Er nimmt das große Thema der Massentierhaltung und der industriellen Landwirtschaft auf und legt es in die Hände eines Mannes, der kleiner nicht sein könnte; Der die Kraft zu einem Liebesgeständnis nicht einmal dann findet, wenn ihn seine Angebetete dazu anfleht; Der den Menschen, die ihm begegnen, so wertfrei begegnet, dass man beinahe Fremdscham empfindet – und ihn gleichzeitig darum beneidet. So zum Beispiel bei dem Wanderimker Meier (THORSTEN MERTEN), dessen Bienen dem Wahnsinn verfallen, nachdem sie unaufhörlich Pestizide fressen. Oder dem ehemaligen Ladenbesitzer Kramer (BERND STEGEMANN), dem nach der Pleite der Verlust von allem droht, was er besitzt: Sie alle geben Hubers Reise einen Sinn und finden ihrerseits in ihm Inspiration dazu, ihren leicht kruden Weg weiter zu verfolgen. Der von Golo Euler gespielte Huber wirkt dabei oft wie ein schwäbischer Forrest Gump, der manchmal an den depressiven Rocksänger Cheyenne in Paolo Sorrentinos This must be the place erinnert, und manchmal auch einfach an Sir Quickly aus Irgendwie und Sowieso.

Dass der Film bis in die Nebenrollen perfekt besetzt ist, hängt übrigens nicht nur mit Lehmanns Status als Arthouse-Koryphäe zusammen, sondern offenbar auch mit der Firma, die Die letzte Sau in Zusammenarbeit mit dem ZDF produziert hat: Niemand geringerer als Dan Maag von Matthias Schweighöfers Pantaleon Film hat hier seine Finger im Spiel, was neben ewigen Geheimtipps wie Thorsten Merten, Bernd Stegemann oder Heiko Pinkowski auch jemanden wie Christoph Maria Herbst auf die Leinwand brachte. Dass Lehmanns Lebensgefährtin Rosalie Thomass mit ihrem geballten Charme den Huber genauso wie das Publikum bezirzt, ist dabei das Sahnehäubchen.

Aron Lehmann schafft es mit Die letzte Sau, ohne Moralkeule und Dogmenkanone ein Plädoyer für eine freiere Gesellschaft und gegen die respektlose Land- und Viehwirtschaft zu halten – liebevoll, unaufgeregt und mit einer vollkommen eigenen und ungewöhnlichen Sprache. Und das allein ist schon Grund genug, sich wieder einmal ins Kino zu wagen.

Die letzte Sau läuft am 28. Juni (22.00 Uhr, HFF) und 2. Juli (22.00 Uhr, ARRI) auf dem Münchner Filmfest sowie voraussichtlich ab dem 29. September 2016 in den deutschen Kinos.

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Sebastian Klug

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