Kulinarisches & Gastronomie

Wahre Fleischeslust: Gasthof Zum Wurz

Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach? Von wegen. Wer bei Peter Korencan und Lisa Schlechte einkehrt, muss sich auf so manches starke Stück gefasst machen: Das Fleisch, das man dort serviert, sei es aus Spanien, Amerika, Schottland oder Japan, versetzt jeden Liebhaber in sprachloses Entzücken.

Eigentlich ist es eine Unverschämtheit. Ausgerechnet zum Beginn der Fastenzeit, in der sich ja manch einer zeitweise zum Vegetarismus bekennt, ein Lokal vorzustellen, das mit derartig fleischlichen Genüssen lockt. Aber auf Reisen ist das Fastenbrechen ja erlaubt und um zu dem kleinen, versteckent Gasthof im idyllischen, bayerischzeller Ortsteil Osterhofen zu gelangen, muss man ja dann doch schon fast bis Österreich… Lange Rede kurzer Sinn: Wer gerne wirklich gutes Fleisch isst, kommt nicht umhin sich früher oder später auf den Weg zum Fuße des Wendelsteins zu machen.

Draußen ist es noch bitterkalt, der Schnee türmt sich und verwegene Eiszapfen stacheln da und dort von den Dachrinnen herab. Drinnen in der Gaststube dagegen knackt das Feuer im offenen Kamin. Buchenholz, versteht sich. Das brennt lang und heiß und erzeugt ein unverkennbares Aroma. Das ist deshalb so entscheidend, weil Peter Korencan, seines Zeichens Wirt vom Gastof zum Wurz, damit nicht nur die oberbayerische Kälte vertreiben, sondern allem voran seine Schätze darüber zubereiten will: Köstliches Fleisch aus aller Herren Länder.

Behaglichkeit aus Holz

Korencan hat einen festen Händedruck, einen leidenschaftlichen Zug um die Augen und ein herzliches Lachen. Wenn er spricht, kullert ein sympathischer, fränkischer Tonfall durch den Raum. Gemütlich ist es hier im Gasthof zum Wurz. Es empfängt den Gast kein speckiger Landgasthof-Charme mit staubigen Seidenblumen und obligatorischer Elch- oder Eulendeko im Fenster, sondern eine heimelige, verwinkelte Stube. Ein findiger, bayerischzeller Schreiner verbaute Balken von ehemaligen Hütten und Almen. Jedes Loch, jede Schramme erzählt von Tagen am Berg oder im Wald. Der geölte Eichenboden, die eingezogenen Zwischenwände und die schweren Holztische tun ihr Übriges für den Eindruck umfassender Behaglichkeit.

Das Herz der Gaststube: Der Grill

Der Chef steht schon an seinem Platz, den er den Abend über kaum noch verlassen wird: Im Herzen der Gaststube am Grill. Gleich daneben in einer Vitrine liegen satt rubinrot, kredenzt wie Brocken aus kostbarem Marmor die Hauptdarsteller des Abends: Black Angus Rip Eye. Iberico-Koteletts. Lammkarrees aus Neuseeland. Amerikanisches Roast Beef vom Langhornrind. Oberbayerisches Dry Aged Beef. Wenn Korencan über seine Kostbarkeiten spricht, deren Namen er kennerhaft im Mund wiegt, wird er zum leidenschaftlichen Spezialisten. Und seine Begeisterung steckt an: Hat man gestern noch beiläufig eine komplette Mittagspause damit zugebracht, an einer einzigen Schnitzelsemmel für drei Euro fünfzig zu kauen, unterhält man sich nun über ideale Zartheit, Biss und Schmelz, über buttrigen Gôut, Marmorierungsgrade und feinziseliertes, intramuskuläres Fett als Geschmacksträger.

Währenddessen werden die ersten Stücke über der Buchenholzglut langsam resch. „Vor allem bei Wet Aged Beef, also bei feucht im Vakuum gereiften Fleisch, muss man darauf achten, es schön heiß anzugrillen, die Röstaromen zu erzeugen, bevor man es dann sanft ruhen lässt, um es anschließend vorsichtig so zu temperieren, dass es sich nicht aufbläht oder innerlich zu kochen beginnt. Sonst verliert man den feinen Saft…“, erklärt Korencan.

Von Lachs und Lotus

Alles was an Fleisch hier serviert wird, kommt vom Grill des Meisters. Mit einer Ausnahme. „Das Gulasch natürlich nicht.“, lacht Lisa Schlechte, die Wirtin. Sie trägt kein Dirndl und keine Servierschürze, sondern eine knallpinke Kochjacke und kommt gerade aus der Küche. Seit einem halben Jahr hat das junge Wirtspaar aus einer Not eine Tugend gemacht: Die gelernte Hotelfachfrau ersetzte einen fehlenden Koch und machte ihre Sache so gut und gerne, dass sie kurzerhand in der Küche blieb und seither für Vor- und Nachspeisen, Salate, Beilagen und Amuse-Gueule verantwortlich zeichnet. Denn auch wenn man sich hier im Paradies der Karnivoren befindet, es ist hier nicht alles Fleisch, was glänzt. Das zeigt sich spätestens bei der Vorspeise: Sashimi aus gebeiztem Wildlachs auf Sellerie und Lotuswurzel. Klingt verspielt bis etwas snobby, schaut aber toll aus und schmeckt vorzüglich. Die Lotuswurzel lag ein Weilchen in Kirschsaft und Ingwersirup, das begleitende Wasabi ist nicht zu scharf und hat eine feine Kressenote. Während man noch dem Fisch hinterher schmeckt, kommt schon ein luftig leichter Rucolasalat mit Parmesanhobel und dezentem Balsamicodressing angeflogen. Am Nachbartisch landet derweil ein sehr appetitlich üppiges, vegetarisches (!) Pastagericht.

Ein iberischer Traum

Doch dann: die Erweckung. Obwohl man erst vor einer halben Stunde vom Maestro höchstpersönlich auf die Vorzüge vom Fleisch des iberischen Schwarzfußschweins intensiv vorbereitet wurde, stellt der tatsächliche Genuss des frisch zubereiteten Iberico-Karrees alle Theorie in den Schatten. Das helle Fleisch mit seiner würzig-rauchigen Kruste fällt wie allein vom Knochen und ist im Mund dennoch kräftig im Biss. Es schmeckt noch am ehesten wie Rind, süßlich, buttrig-nussig – als würde man tatsächlich die Früchte der Kork- und Stileichen schmecken, die die Tiere in der Montanera-Phase (Eichelmast) zwei Monate vor der Schlachtung vom Boden der süwestspanischen Eichenhaine der Extremadura fressen. Kurz: Da schweindelt nichts!

Dass dann noch ein Filet zum Probieren kommt, grenzt an Völlerei. Aber das Rindfleisch, das sich da sanft im eigenen Saft wölbt, ist so zart, dass das Messer quasi von selbst hindurchfällt. Außen mahagonifarben geröstet, schimmert es innen granatsteinrot und möchte eher genossen als gegessen werden. Fast vergisst man dabei die Beilagen und Saucen. Was schade wäre, weil auch diese Beachtung verdienen. Das Gemüse ist auf den Punkt gegart, bissfest und geschmacklich eigenständig, und weder die Sauce Bernaise mit deutlicher Estragonnote, noch das scharfe Tomaten Relish oder das säuerlich frische Chimichurri (eine argentinische Steaksauce) erwecken nur im Ansatz den Anschein nicht etwa frisch zubereitet worden zu sein. Man könnte den Wirtsleuten unterstellen, sie hätten sich aus gegebenem Anlass besonders viel Mühe gegeben. Würden nicht an ausnahmslos allen Tischen in der Gaststube ab dem ersten Bissen der aufgetragenen Gerichte die Gespräche verstummen und in genussvolles Schweigen übergehen und erst wieder in zufriedenes Murmeln münden, wenn die Gabeln und Messer beiseite gelegt werden.

Kein Kroko und kein Zebra

Natürlich hat der Genuss seinen Preis. Mit der Schnäppchen-Schnitzelsemmel können die Wirte vom Wurz nicht mithalten. Gottseidank und ohne zu wuchern, denn das Preis-Leistungsverhältnis halten sie durchaus. Auch wenn man hier nicht zu Discounter- oder Fastfoodpreisen essen kann, die Speisekarte umfasst durchaus auch erschwingliche Hauptgerichte zu üblichen Restaurantpreisen. Es muss ja nicht unbedingt jeden Abend das japanische Wagyu Rind aus Kagoshima sein (100g für 69 €). Gibt‘s auch gar nicht immer. Korencan mag ein Sammler von besonderen Fleischleckerbissen sein. Aber es geht ihm bei den importierten Köstlichkeiten nicht um exotisches Chichi. „Ich brauche kein Krokofleisch, kein Kamel und kein Zebra. Die Bayern mögen leider beim Rind nicht mithalten können. Aber unser Wild ist unvergleichlich gut. Da brauche ich keinen afrikanischen Springbock.“ Korencan wendet ein Kotelett. „Sonntags machen wir immer mittags auf und widmen uns bayerischer Hausmannskost. Schopfbraten, saftiges Nackenfleisch mit Kruste. Oder auch mal fränkische Spezialitäten: Schäufele mit Kloß und Soß‘… Oder Sauerbraten. Schnitzel vom Kalb … “ Wer angesichts eines solchen Lokals im selben Breitengrad die Fastenzeit durchhält bis zum Ostersonntag, der hat sich definitiv ein Stück Iberico-Karree im Gasthof Zum Wurz verdient … .


Dieser Artikel ist Teil unserer „mei Dahoam“- Wirtshaussserie

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